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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Linfyar. Ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, daß du jedesmal, wenn du einem anderen Lebewesen weh tust, genau dasselbe spürst. Uh-huh! Und damit ist der Spaß schon nicht mehr so groß, was? Verstanden, was ich gesagt habe?”
    Er schluchzte erbärmlich; sein kleiner Körper sackte in sich zusammen, seine Ohren rollten sich ein, legten sich ganz fest an seinen Schädel an. Nach einer kleinen Weile nickte er allerdings.
    Aleytys betrachtete ihn skeptisch. „Na, wir werden sehen. Also gut, Knirps; Abmarsch. Du holst den Gyori jetzt getrocknetes Kraut und beruhigst sie. Sing ihnen etwas vor. Ab jetzt bist du für sie verantwortlich. Du striegelst sie, sorgst dafür, daß sich keine Kletten in ihrem Fell ansiedeln… Vor allem aber läßt du sie vergessen, was du ihnen angetan hast.” Sie blickte die zusammen-gekauerte, kleine Gestalt an. „Okay, vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken; vielleicht hält es dich von diesem Unsinn ab… Vielleicht lehrt es dich - egal. Verschwinde, Knirps, du hast eine Menge Arbeit vor dir.”
    Shadith zog sich ganz in einsames Grübeln zurück, tauchte nur zu den Mahlzeiten auf, beschwerte sich, daß sie nichts hatte, worauf sie schreiben konnte, und fuhr (wieder an ihren Lieblingsplatz unter den Bäumen zurückgekehrt) fort, die Zeit mit allen nur erdenklichen Mitteln totzuschlagen.
    Wakille schlief viel.
    Aleytys verbrachte Stunden damit, zu Laufen und Gymnastik zu treiben, bis sie am ganzen Körper vor Müdigkeit zitterte; dann saß sie in Meditation versunken da, ließ die Stationen und Ereignisse ihres Lebens Revue passieren und war damit beschäftigt, eine Symmetrie darin zu finden. Dieser Treck hier auf Ibex war eine Art kurze Zusammenfassung ihres Trecks auf Jaydugar. Dieses langsame und scheinbar so vollkommen friedliche Vorankommen über einen Wasserozean war ganz wie ihr langer, langsamer Treck über jenen Grasozean, das Große Grün, zusammen mit der Medwey-Sippe. Schwitzend, glühend heiß, staubig, hochschwanger ging sie neben den Tieren her und erfreute sich an dem geschmeidigen Gleiten ihrer Muskeln und der Kraft, die in ihrem Körper floß.
    Unter den Füßen stachelte das Gras gegen das dünner werdende Leder ihrer Mokassins hoch, lebendiges Gras, das sich vom Quell des Lebens empordrängte, dem Fleisch und den Knochen der Welt.
    Jetzt, hier auf dem Wassermeer, war sie älter und vermutlich weiser und durch zuviel Wissen und Erfahrung von solchen elementaren Quellen der Kraft und des Trostes getrennt. Ein Verlust, dem sie vage nachtrauerte. Andere Ähnlichkeiten. Tarnsian, der sie gefangenhielt, bis sie entkam und ihn schließlich tötete. Die Zentai-Zel, die sie festhielten, bis sie entkam und Juli schließlich tötete - oder doch an deren Tod mitschuldig wurde. Der heruntergekommene Ro-manchi-Händler, ein Flecken High-tech auf einer ansonsten nur schwach technisierten Welt. Sil Evareen - eine Hightech-Stadt, die auf dieser Welt, die sich in die Steinzeit zurückentwickelt hatte, existieren mochte… oder auch nicht. Dasselbe und doch nicht dasselbe, Echos, nicht Identitäten, aber vorhanden - und da es nicht Besseres zu tun gab, vorhanden, um betrachtet und bestaunt zu werden.
    Hundertundvierter Tag
    Etwa zwei Stunden nach Tagesanbruch kam die Insel mit einem ruckartigen Knirschen zum Stillstand. Ohne auf die aufgeregten Ausrufe der anderen zu achten, rannte Aleytys zum mittleren Hügel, dem höchsten Punkt der Insel; doch als sie oben ankam, sah sie ringsumher nichts als Wasser, das gemächlich schwer nach Norden hin wogte und nur dann und wann - wenn der auffrischende Südwind die Wellenkämme zerzauste - zu Schaumspritzern zerbarst. Nirgendwo auch nur eine Spur von Land, nicht einmal von den tödlichen Sümpfen. Die Insel schaukelte und bockte unter ihr und kämpfte gegen den gewaltsamen Halt an.
    „Zu weit draußen. Hast du dir schon mal überlegt, wie viel Wasser wir verdrängen?”
    Aleytys drehte sich um. Shadith stand schräg hinter ihr, die Hände flach an den Kopf gepreßt, damit ihre windgepeitschten Haare nicht in Mund und Augen pieksen konnten. Ihre Schokoladenaugen strahlten überirdisch. Eine Röte verdunkelte die Wangen. „Ich verabscheue diese verdammte Insel”, brach es dann unvermittelt aus Shadith heraus. „Und diese heruntergewirtschaftete, abgenutzte Welt. Dies alles hier…” Sie machte eine allumfassende Geste - mit einem solchen Übermaß an Dramatik und Ungeschicklichkeit, daß sie einfach nicht zu ihr passen wollte;

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