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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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wecken, sie strich über seine Stirn, wischte schweißnasse Haarsträhnen aus seinem Gesicht, lächelte über die seidige Feinheit der grau durchzogenen schwarzen Strähnen, zog die Fingerspitzen an seiner Gesichtsseite herunter, fühlte die straffe Muskulatur und hörte, wie er mit den Zähnen knirschte.
    Dicht an seinem Auge gab es eine neue Narbe; an seinem Unterkiefer eine Einkerbung. Sie hatte sie bisher nicht bemerkt, und jetzt, da sie begriff, wie nahe der Tod an ihm vorübergestreift war, empfand sie eine jähe Kälte. Sie berührte die Einkerbung. Ein Zoll von der Arterie entfernt. Sie schloß die Augen. Ay-madar, so nahe!
    Mehrere Minuten lang saß sie ganz still bei ihm, dann seufzte sie, entspannte sich, ließ ihre Heilkraft sanft in ihn hineinströmen.
    Seine Muskeln lockerten sich unter ihrer Berührung, und bald schlief er leichter.
    Sie saß im Schneidersitz bei ihm und starrte in die Finsternis des Schlafzimmers. Der Streit zog wieder und wieder durch ihren Sinn.
    Ihre Liebe, so bedenklich wiedergutgemacht durch seine und ihre körperlichen Bedürfnisse. Eine seltsame Nacht. Alte Wunden und neue. Überwachsene wunde Stellen, aufgerissen, aufgewühlt. Sie war nahe daran gewesen, ihm zu sagen, wer Swardheld war, aber sie tat es nicht, da eine komplizierte Verknotung von Loyalitäten ihre Zunge in Fesseln legte.
    Aleytys beugte sich zum Wasser hinab, ließ ihre Finger durch die kalten, schnell dahinjagenden Fluten streicheln. Ihr wurde kalt, die Müdigkeit kehrte zurück. Er hat ein wenig Angst vor mir, glaube ich. Er weiß es noch nicht. Hat noch nicht alles, was er weiß, zusammengesetzt, nein, noch nicht. Aber wenn er es tut… ah-Madar, ich habe noch ein bißchen Zeit. Ein bißchen.
    Sie stand auf, verwünschte die Steifheit, die das Reiten mit sich gebracht hatte, und die Kälte. Sie streckte sich, gähnte, blickte zum Himmel empor. Ein bißchen Zeit. Sie lächelte. Zum Schlafen. Sie kehrte zum Lagerplatz zurück, schaute auf Shadith hinab - sie lag auf der Seite, zusammengerollt, eine Faust gegen den Mund gepreßt. Aleytys schüttelte den Kopf- so viele Komplikationen, die ihr Leben verknoteten-, ließ sich auf der Unterlegplane nieder, wickelte sich wieder in ihre Decke, schloß die Augen und hoffte nachdrücklich auf Schlaf.
    5
    Der Falke kreiste hoch über den Centai-zel - jenen acht der zwanzig, die den Überfall überlebt hatten-, hoch in den sich zusammenziehenden Wolken verborgen und die Thermik über der Faulstelle nutzend. Die Frauen gingen zu Fuß und in einer weit auseinandergezogenen Linie; sie durchsuchten die Vegetation an den Ausläufern der Faulstelle, wateten mit einer Sorglosigkeit in den schädlichen Flüssigkeiten umher, die Aleytys (die sie durch die Augen des Falken beobachtete) erschreckte. Esgard hatte es erwähnt: Sie durchforschen die Faulstellen genauso, wie Menschen auf anderen Welten nach wertvollen Metallen und Juwelen suchen.
    Aleytys lockte den Falken wieder zurück und gab ihn frei. Für eine Weile beobachtete sie daraufhin Shadith. Das Mädchen saß entspannt im Sattel, ihr Gesicht von Leben beseelt - besser als gestern. Die Schokoladenaugen suchten die Straße vor ihnen ab, wandten sich immer wieder sehnsüchtig dem Falken zu. Aleytys seufzte und hoffte, daß sie die Geduld aufbringen konnte, sich lange genug zurückzuhalten, bis sie ihre neuerworbenen Talente erprobte - wenigstens bis zum nächsten Nachtlager. Sie betrachtete das junge Gesicht genau (und den Eifer, der sich darin abzeichnete) - und bezweifelte, daß das Mädchen wirklich diese Geduld haben würde. Jung, dachte sie. So jung. Sie mußte lächeln. Jung und gleichzeitig uralt. Schwer, sich vorzustellen, daß sie Jahrhunderte - nein, Jahrtausende gelebt hatte. Ich kenne sie nicht wirklich, begriff sie. Auch nach all diesen Jahren nicht. Der Körper macht den Unterschied deutlich, ay-Madar, wirklich. Sie seufzte wieder, rieb an der Falte zwischen ihren Brauen und wandte ihre Aufmerksamkeit schließlich den Bergen zu, die weit voraus emporwuchsen und an Deutlichkeit zunahmen, je näher sie kamen.
    Die Straße verlief jetzt mehr oder weniger parallel zum Verlauf des Flusses, wobei sie die Biegungen und Schleifen abkürzte, ohne sich jedoch mehr als einen halben Kilometer anzunähern. Ihr Gyr bewegte sich mit einem elastischen Galoppieren voran, die Hufe tänzelten so leicht über den harten Belag der Straße, wie zuvor auf dem weniger harten Land der Ebene - auf Lehmboden, Gras, Kies, über Gestrüpp

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