Die Fallen von Ibex
freundschaftlichen Berührungen. Allmählich beruhigte er sich wieder, und sie lockte ihn sanft nach Süden, zum Hauptverlauf des Flusses, ließ ihn auf der Thermik über dem Wasser dahingleiten und genoß das Vergnügen des Emporsteigens gemeinsam mit ihm.
Dann schüttelte sich Aleytys, in den eigenen Körper zurückgekehrt, erwacht aus der Versunkenheit und registrierte den Falken hoch über sich an einer unsichtbaren langen Leine; sie öffnete die Augen, streckte sich, wandte den Kopf hin und her, um die Steifheit aus der Halsmuskulatur zu vertreiben. „Ein guter Ausblick, weit nach Norden. Bestätigt, was die Karte zeigt und was Esgard darauf festgehalten hat. Kein Weg hinüber. Mauer.” Sie rieb sich die Augen. „Eine Menge zerbröckelndes Gestein. Jeder, der versucht, dort hinaufzuklettern, bricht sich den Hals.”
Shadith rutschte unruhig auf dem Sattelpolster hin und her. „Ich will es auch sehen.”
„Nein.” Aleytys gähnte, hielt eine Hand vor den Mund. „Noch nicht.”
„Warum nicht?” Shadith blickte stirnrunzelnd zum Himmel empor. Der Falke war nicht zu sehen, aber sie ignorierte das und sehnte sich nach ihm. Sie konnte ihn fühlen, das war offensichtlich. Mit einem verhaltenen Fluch drängte Aleytys sie ab und glitt in den Schädel des Tieres, bevor sie Zeit hatte, sich von ihrer Überraschung zu erholen. Shadith war zurückgeschlagen - und kochte.
Gut, sollte sie. Aleytys drängte den Falken nach Südwesten, ließ ihn dem Fluß folgen, bis zu der mit einem Graben gesicherten Siedlung.
Dieses Tal - lang und gewunden - wurde nicht von einer Mauer begrenzt; eine Mauer war nicht nötig. Die Felder trugen üppigen Bewuchs jeder nur erdenklichen Art - Reihen von Feldfrüchten hier, Weiden dort, dazu kleine, pelzige Tiere, die eifrig darauf grasten. Die verschiedenen Anbaugebiete waren mit stacheligen Hecken voneinander getrennt - es konnten aber auch Dornenranken sein, die ungestüm über Pfosten und Maschendraht wucherten.
Die Insel, ein spitzes Oval, war umgeben von einem Vorhang aus stacheligen Ranken, dreimal so hoch wie eine große Frau, und zwischen Bäume gewoben, die hier emporragten. Eine lärmende Menschenmenge - Frauen und Mädchen - hatte sich am Flußufer eingefunden und schrubbte Kleidung oder hängte jene Teile, die bereits ausgespült waren, auf die Dornen der großen Hecke. Innerhalb dieser grünen Wand war die Insel dicht bewaldet, mit vielen kleinen Lichtungen, auf denen wiederum - in Pferchen - Tiere grasten; Pfahlzäune begrenzten winzige Gartenparzellen, auf denen Frauen und Mädchen bei der Arbeit waren: Seile wurden dort gedreht, Leder gefärbt, es wurde gewoben, gesponnen, geschneidert, genäht. Tausend Dinge. Und die Älteren lehrten den Jungen die alten Gesänge.
Der Falke glitt über die Insel weg und kehrte in einer weiten Schleife zurück, doch Aleytys konnte keinen Durchbruch in der gewaltigen Hecke ausmachen; es gab auch keinen Hinweis auf Boote, weder kleine noch große, und genausowenig auf Brücken irgendwelcher Art. Ein Hinüberwaten war gewiß nicht möglich, denn beide Flußarme schienen sehr tief zu sein, und die Wasser brodelten und brausten dahin. Rechter Hand entdeckte Aleytys noch mehr Frauen auf den Feldern, vorgebeugt, um Unkraut zu jäten, Insekten und Würmer von Pflanzen zu sammeln, reife Schoten oder Früchte zu pflücken. Nachdenklich ließ sie den Falken noch einmal kreisen. Nirgendwo war eine Behausung zu sehen.
Lebten sie in Höhlen? In den Bäumen? Sie spielte mit dem Gedanken, den Falken tiefer gehen zu lassen, doch mittlerweile hatten sich mehrere seiner Brüder in den Wolken zu ihm gesellt, und sie wollte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Zu gegebener Zeit würde sie schon einen Durchschlupf finden. Sie hieß den Falken zurückzukehren. Er kämpfte gegen ihren Zugriff an. Sie festigte ihre Macht über ihn und zwang ihn von der Siedlung weg. Er wehrte sich noch immer, und das Schlagen seiner großen Schwingen wurde unregelmäßig, bizarr - doch dann lag das Tal hinter ihm, und er beruhigte sich zunehmend unter ihrem besänftigenden Streicheln. Bald darauf konnte sie sich aus ihm zurückziehen, ohne Angst haben zu müssen, ihn zu verlieren. Mit einem leichten Schaudern kehrte sie in den eigenen Körper zurück und öffnete die Augen.
Shadith musterte sie finster. „Wann darf ich es versuchen? Wie soll ich wissen, ob ich es kann, wenn du es mich nicht versuchen läßt?”
„Laß ihm eine Pause, Shadi. Ich habe ihm eine Menge
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