Die Fallen von Ibex
Problem war, es würde auch ihr Kind sein, mit allen Konsequenzen, die das nach sich zog. Ich muß meine Mutter finden, dachte sie. Ich muß sie kennenlernen, damit ich mich selbst besser kennenlerne, damit ich mehr darüber weiß, wie mein Kind sein könnte. Noch ein Grund, um das hier zu Ende zu führen, sagte sie sich. Doch parallel zu ihrem wachsenden Verlangen nach diesem Kind spürte sie auch dieses andere Gefühl
- als würde sich ein Netz um sie herum zusammenziehen. Manchmal gefiel ihr dieses Netz sogar, es verlieh ihr ein Gefühl der Sicherheit, der Zugehörigkeit; manchmal fühlte sie sich darin so eingeengt, daß sie am liebsten schreien wollte.
Und da war noch Swardheld. Sie verzog den Mund, als sie wieder daran dachte, wie sich die beiden Männer gegenübergestanden hatten; Swardheld, ihr alter Bär, und Grey. So steif. Höflich und doch feindselig. Wie konnte sie es ertragen, sich von ihm zu trennen? Ausgerechnet von ihm, der so lange so sehr ein Teil ihrer Selbst gewesen war? Er hatte ihr so oft geholfen. Wie kein anderer Mann, wie keine Frau und kein Kind vermochte er sie immer wieder aus diesem Panzer herauszulocken, den sie dann und wann um sich herum errichtete. Sie liebte ihn als Freund, Vater, Liebhaber; als ihr anderes Ich. Ein Gefühl, das für sie so natürlich war wie das Atmen. An ihrer Beziehung zu Grey mußte sie hart arbeiten. Gegen Swardheld brauchte sie sich nicht durchzusetzen, es gab keine Mißverständnisse, kein ungeschicktes Manövrieren. Ich will sie beide. Ich will Grey und Swardheld. Beide.
Für einen Moment schloß sie die Augen, fuhr mit dem Handrükken über ihren Mund. Wir müssen eine Lösung finden, dachte sie ein wenig verzweifelt - und versuchte eine schwache Hoffnung aufzubringen, daß es möglich war.
Doch diese Hoffnung wurde bald davongespült, von zu vielen anderen Bedrängnissen ertränkt. Vryhh. Halbblut Vryhh. Sie starrte hinab, und ihre Gedanken waren in der Vergangenheit, in jener Nacht, bevor sie aufgebrochen war. Sie erinnerte sich daran, wie sie neben Grey erwachte, wie sie aus dem Bett glitt, stehenblieb und auf ihn hinabsah. Er war so tief in seinem Schlaf versunken gewesen, ein Schlaf, den nichts durchbrechen konnte, und sein Gesicht hatte noch etwas von der Erschöpfung und der Bitterkeit dieses Tages gezeigt. Und während sie ihn betrachtete, waren Traurigkeit und Zärtlichkeit in ihr so durcheinandergeworfen, daß sie nicht mehr zu sagen wußte, wo das eine aufhörte und das andere begann.
Abrupt wandte sie sich ab und trottete zum Wandspiegel hin
über ; sie schaltete das Licht an, starrte auf ihr Spiegelbild
Gesicht und Körper. Keine Narben. Das war das erste. All die Prügel, die vielen Verwundungen, die sie im Lauf der Zeit davongetragen hatte - nicht mehr zu sehen. Sie alle waren im Treibsand der Zeit vergangen. Selbstheilungsprozesse. Nicht einmal Dehnungsstreifen gab es. Sie strich eine Hand nach oben und über den Bauch. Ihr war nach Weinen zumute. Nicht das geringste Zeichen, daß sie schon einmal ein Kind getragen hatte. Es war, als lösche dies die Existenz ihres Sohnes aus. Ein böses Gefühl. Sie versuchte, über die eigene Dummheit zu lachen, aber die Traurigkeit blieb.
Sie beugte sich näher zu ihrem Spiegelbild hin, strich mit behutsamen Fingerspitzen über ihre Wange, vorbei am Mundwinkel, rieb über die feste Haut unterhalb des Kinns. Eine zarte Haut, jugendlich und faltenlos, wie an jenem Tag, da sie aus dem Wadi Raqsidan geflohen war. Sie trat zurück und starrte sich an. Ich sehe älter aus, dachte sie. Keine Falten, aber da ist eine Selbstsicherheit, die ich noch vor ein paar Jahren nicht hatte. Sie hatte das Leben kennengelernt, und das Wissen darum veränderte ihre Miene; ihre Körperhaltung war anders, und die Art, wie sie sich bewegte. Und da war ein Wissen um Schmerz und Leid, ein Wissen, daß man überlebt und weitermacht, ganz gleich, wie groß der Schmerz auch ist. Langsam drehte sie sich um, wandte den Kopf, betrachtete sich. Langes Leben? Kurzes Leben? Keine Ahnung. Ich weiß es nicht.
Sie schüttelte den Kopf, löschte das Licht und tappte zum Bett zurück. Grey schlief noch immer tief, doch jetzt murmelte er unverständliche Worte. Träumt, dachte sie. Ich wüßte gern, was.
Aber was es auch ist- es ist nicht angenehm. Sie seufzte und wandte sich ab, umrundete das Fußende des Bettes und ließ sich wieder neben ihm nieder. Sie berührte ihn mit den Fingerspitzen, vorsichtig, denn sie wollte ihn nicht
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