Die Fallen von Ibex
Blick.
Aleytys betrachtete die nervöse Zel, fragte lautlos: „Was ist?”
„Hör zu.” Harskaris Augenlider hoben sich zitternd; die Augen selbst schimmerten wieder hell und klar. „Die junge Frau dort ist außerordentlich stark, und wenn sie entsprechend ihrer Begabung trainiert wäre… Es ist besser, ich verschwinde, bevor die Waage in die falsche Richtung ausschlägt. Hör auf den Gesang, Lee. Hör zu und passe dich seinem Rhythmus an. Wenn du den Takt kennst, hast du eine Schlacht gewonnen; du kannst darauf reiten, kannst ihn unterbrechen oder ändern. Denk nach. Vertrau dich dem Takt an. Laß ihn dir helfen, die Droge aus deinem Kreislauf zu schwemmen.” Die Augen verengten sich zu einem Schimmern, als runzle Harskari vor Schmerz die Stirn. „Schnell”, raunte sie und glitt davon.
Aleytys seufzte. Zuhören, dachte sie. Was, bei Aschlas Höllen, glaubt sie, daß ich den ganzen lieben langen Tag mache? Sie schluckte, verzog das Gesicht, weil ihr ausgetrockneter Mund weh tat, weil ihre ausgetrocknete Kehle weh tat. „Zuhören”, brummte sie, grinste die zornige junge Zel unverschämt an, schloß die Augen wieder und widmete sich wieder ganz ihren Atemübungen, bis Geist und Körper ruhig genug waren, um zuzuhören. Doch sie brach immer wieder aus dieser Konzentration aus; Verärgerung und Enttäuschung rauhte die Oberfläche ihrer Ruhe auf - jedesmal, wenn sie glaubte, Harskaris Andeutungen endlich verstanden zu haben, entglitt ihr die Lösung wieder. Irgendwann beachtete sie das Pulsieren der Stimmen nicht mehr, sondern nur mehr das Pulsieren ihres Körpers, hörte/fühlte nichts anderes als ihren Körper… und den Pulsschlag der Zel-Körper… übergangslos … glich sich an und schwamm plötzlich in einem Meer aus Schlagsahne. Mit stattlicher Anmut glitt sie dahin und wußte in einem Aufflammen von Triumph, der ihr Dahingleiten vorübergehend störte, daß sie hinaustasten und ihre Häscherinnen in ihrem eigenen Netz fangen konnte. Sie lachte laut auf, öffnete die Augen und begegnete dem giftigen Blick der jüngeren Zel. Warum? dachte sie. Warum haßt du mich so? Was habe ich dir getan?
Der Durst war jetzt eine Qual. „Wasser”, krächzte sie - doch es war eine Forderung und keine Bitte. Sie berührte die rissigen, verkrusteten Lippen mit den Fingern.
Die alte Zel bewegte sich nicht, die junge lächelte.
Aleytys zuckte mit den Schultern und zog sich wieder in sich selbst zurück. Jetzt fiel es ihr leicht, auf dem Rhythmus zu reiten, ihn zu beeinflussen, so daß sie sich ihren heilerischen Fähigkeiten zuwenden konnte; der dunkle Strom stand wieder ganz zu ihrer Verfügung - und wurde zu ihrer eigenen Überraschung nur wenig gebraucht. Instinktiv hatte ihr Körper die langen Stunden genutzt und sich langsam, unmerklich verändert, reorganisiert, um die Rauchdroge zu bewältigen. Sie spülte die Überreste des Giftes hinaus und fühlte sich leicht und wie ausgebrannt.
„Harskari?” fragte sie lautlos und war nicht sehr enttäuscht, als sie keine Antwort bekam.
Vor dem östlichen Fensterloch versiegte die Helligkeit zunehmend; das Licht, das durch die westliche Öffnung hereinströmte, nahm mehr und mehr eine rötliche Färbung an. Plötzlich wurden die Türmatten beiseite gehoben, und eine weitere Zel trat ein. Sie war klein und untersetzt, hatte jedoch mehr Muskeln als Fett auf den stämmigen Knochen. Ihr Gesicht war rundlich, mit hellen Augen; zweifarbiges Haar war mit Perlen durchflochten, die grö
ßer waren als alle, die Aleytys bisher gesehen hatte. Jene an den Zopfenden waren aus Stein, statt aus Holz. Tiefe Furchen zogen sich von den Nasenflügeln zu den Winkeln des breiten, ausdrucksstarken Mundes. Ihr Kinn war lediglich eine Andeutung, ein schmaler Knochenwulst; vielleicht bildete sie sich ein, er würde die Sinnlichkeit des Mundes betonen. Sie starrte Aleytys an und rieb mit dem Daumen über dieses Kinn. „Wie lange ist es schon wach?”
Die älteste Zel antwortete: „Seit dem frühen Morgen.”
„Hat es irgend etwas versucht?”
„Es hat herumgeschnüffelt, mehr geprüft als versucht. Es hat keine Möglichkeit, zu entkommen, und das hat es herausgefunden, deshalb hat es sich in den vergangenen Stunden beruhigt.”
Die jüngere Zel schien dies bestreiten zu wollen, schwieg jedoch. Die neu hinzugekommene Frau blickte sie forschend an, bückte sich, flüsterte ihr etwas ins Ohr und lauschte dem antwortenden Flüstern. Ihr Blick huschte immer wieder zu Aleytys her
über.
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