Die Fallen von Ibex
Aber das war Spekulation.
Die Blicke der jüngeren Zel kehrten immer häufiger zu Aleytys zurück; Blicke aus dunklen Augen, noch dunkler als das Schokoladenbraun von Shadiths neuen Augen. Sie waren von einer matten, umbrafarbenen Flachheit, so trübe wie Obsidian. Die Augen der älteren Zel waren erdfarben, mit winzigen gelben Teilchen gesprenkelt, wenn das Licht darauf tanzte.
Die jüngere Frau strahlte eine kaum beherrschte Wildheit aus.
Hätte meine Kehle im Bruchteil einer Sekunde durchgeschnitten, sagte sich Aleytys. Aber irgend etwas hält sie davon ab. Die ältere war nicht so sehr mit Haß erfüllt - sondern mit einer zurückhaltenden, verschlossenen Gewißheit, rechtens zu handeln. Diese Rechtmäßigkeit sickerte aus ihr heraus wie geschmolzene Butter aus einem Keks. Sie war kalt, ungerührt, keine Gefühlsregung, nicht die geringste Emotion beeinträchtigte dies. Wenn Aleytys sie richtig verstand, dann weigerte sie sich einfach, die Außenseiterin zu einem Teil ihres Lebens werden zu lassen. Keine der beiden Frauen bot auch nur die geringste Chance zu einer Annäherung. Nach einer geraumen Zeit entschied Aleytys allerdings, daß sie die aktive Böswilligkeit der Jüngeren der völligen Gleichgültigkeit der Älteren vorzog. Sie schloß die Augen; ihr Kopf fühlte sich aufgebläht und ziemlich schlecht an. Sie atmete tief ein, füllte die Lungen, richtete die Schultern gerade auf und atmete aus und wieder ein. Sie hielt die Luft an und sah das gefurchte, sanfte Gesicht des Mannes vor sich, der sie vor so langer Zeit gelehrt hatte, ihren Zorn zu besänftigen. Ewigkeiten ist das jetzt her, dachte sie und sah sich selbst - ein schweigsames, einsames Kind. Sie entleerte ihre Lungen, schalt sich dabei ob ihre Unaufmerksamkeit, konzentrierte sich daraufhin ganz auf ihre Übungen, bis sie langsam, ruhig, tief atmete, mit sich selbst und mit der Welt ringsumher im Gleichklang: Der Großteil aller sie bedrängenden Ärgernisse war beiseite geschoben, ihr ganzes Ich auf die Atmung konzentiert.
Und da erhellte ein gelbes Leuchten die Tiefen ihres Bewußtseins, ein Leuchten, unruhig, flackernd, dann stärker - Harskaris bernsteingelber Blick.
„Aye, Mutter”, sagte Aleytys laut, die Stimme jedoch ruhig, gefaßt, wie ihr ganzer Körper. Die beiden Zel starrten sie kurz an, doch mit dieser Reaktion erschöpfte sich ihre Aufmerksamkeit auch schon wieder. Nur die jüngere Frau zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, vielleicht, weil sie die Worte nicht verstand, vielleicht, weil sie allgemein etwas dagegen hatte, daß die Gefangene sprach.
„Du hast den Lohn für deine Voreiligkeit bekommen”, sagte Harskari streng.
Die junge Zel bewegte sich unruhig, als verspüre sie einen Juckreiz an einer Stelle, an der sie sich nicht kratzen konnte.
„Schimpf nicht, Mutter”, bat Aleytys verträumt. „Bist du darin gefangen, meine Mutter?”
“Nicht wirklich.” Die Bernsteinaugen zwinkerten ihr zu. „Wenn ich deine Talente einsetze, bin ich gefangen - vorläufig, ja, vorläufig; später aber… wir werden sehen. Shadith ist in Freiheit und wohlauf.”
„Gut.” Das Schlagen ihres Herzens beschleunigte sich - eine Reaktion auf ihre Erleichterung. Aleytys wandte sich wieder ihren Übungen zu, kam erneut zur Ruhe. „Was weißt du noch?”
„Sie ist unruhig da draußen. Ich denke, sie wird in der Nacht kommen und herumschleichen, eine Möglichkeit suchen, wie sie dir helfen könnte, oder um da zu sein, wenn du es schaffst, auszubrechen.”
Die jüngere Zel begann mit der älteren eine geflüsterte Unterhaltung; immer wieder blitzten die Obsidian-Augen in Aleytys’
Richtung.
„Kannst du sie erreichen?”
„Nein.”
Aleytys zögerte, atmete ruhig weiter, dann schloß sie die Augen.
„Da ist noch etwas”, murmelte sie.
„Ja. Die Zel beratschlagen, was mit dir geschehen soll. Ob sie dich töten oder… behalten. Momentan halten sich die Meinungen die Waage, aber letzten Endes könnte diese Waage so oder so ausschlagen. Sei bereit, loszuspringen.”
„Mhmm, leicht gesagt, schwer getan, wenn der Kopf so gefesselt ist.”
„Nicht mehr sprechen”, rief die junge Zel unvermittelt. „Schluß, nicht sprechen.”
„Mein Gott”, hauchte Harskari. „Ich glaube, sie spürt mich.
Wird höchste Zeit, daß ich wieder verschwinde. Achte auf den Rhythmus des Gesangs, Lee, lerne, dich mit ihnen treiben zu lassen.” Sie verstummte, und in den verblassenden Geistaugen war ein gedankenverlorener
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