Die falsche Frau
Streit. Immer. Nach fünf Minuten.«
»Und dabei ging es um Politik?«
»Politik, Umweltzerstörung, soziale Gerechtigkeit. Letzteres vor
allem. Sie machen sich keine Vorstellung, was bei uns los war, als weltweit die
Banken zusammenbrachen und die leitenden Herren für ihr Versagen und
Missmanagement auch noch fürstlich belohnt wurden.«
Unser Essen kam. Frau Hagenow schien es nicht einmal zu bemerken,
dass die pummelige Bedienung einen appetitlich angerichteten Teller vor sie hinstellte.
»Ich fürchte, Peter hat sich irgendwelchen Gruppen angeschlossen«,
sagte sie leise.
Ich ergriff die Gabel und begann zu essen. SchlieÃlich hatte ich
nicht ewig Mittagspause.
»Politischen Gruppen?«, fragte ich zwischen zwei Bissen.
»Sehr radikal denkenden Gruppen. Vielleicht sogar terroristischen
Gruppierungen, wenn es so etwas zurzeit überhaupt gibt bei uns in Deutschland.
Sie sehen, ich halte alles für möglich. Sie haben selbst Kinder, oder? Dann
können Sie sich vorstellen, wie verzweifelt ich bin.«
»Seit die RAF Ende der Neunziger offiziell ihre Auflösung verkündet
hat, ist es an dieser Front eigentlich ruhig geworden.«
»Jede Zeit scheint ihre eigene Form von Terrorismus hervorzubringen,
nicht wahr? Jetzt sind offensichtlich die Muslime an der Reihe.«
»Ihr Sohn ist aber nicht etwa zum Islam konvertiert?«
»Aber nein.« Energisch schüttelte sie den Kopf. »Zum Thema Religion
hat Peter immer gerne Marx zitiert: Opium fürs Volk. Auch so ein Thema, bei dem
er sich regelmäÃig mit seinem Stiefvater in die Haare gekriegt hat.«
Endlich ergriff sie doch ihre Gabel und begann, in ihrem Risotto
herumzustochern. Sie verschlang einige Happen, legte ebenso plötzlich die Gabel
auf die Serviette zurück. Ihr Gesicht war in ständiger Bewegung, die Augen
kamen nicht zur Ruhe, der schön geschwungene Mund machte seltsame Zuckungen.
Die Frau war am Ende ihrer Kräfte.
»Könnte es nicht sein, dass Ihr Sohn einfach nur ein bisschen Urlaub
macht, ohne Ihnen etwas davon zu sagen?«
»Natürlich könnte das sein. Peter hat etwas Geld. Er hat einen Teil
des nicht besonders groÃen Vermögens meines ehemaligen Mannes geerbt. Aber
sonst hat er mich immer informiert, wenn er vorhatte zu verreisen.«
»Es gibt da leider ein Problem, Frau Hagenow«, sagte ich, als ich
meine Pasta bis auf die letzte Erbse aufgegessen hatte. »So gerne ich würde,
ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Aber das weià ich doch«, murmelte sie mit gesenktem Kopf. »Mir ist
bewusst, dass Sie von Amts wegen nichts unternehmen können. Nichts unternehmen
dürfen.«
»Es sei denn, ich hätte einen begründeten Verdacht, dass Ihr Sohn in
Gefahr ist oder tatsächlich eine kriminelle Aktion plant. Gibt es denn Hinweise
darauf, dass er etwas Derartiges vorhat?«
»Es gibt überhaupt keine Hinweise.« Mutlos schüttelte sie den Kopf.
»Ich dachte, dass Sie vielleicht privat ⦠Sie haben die Erfahrung. Sie haben
die Möglichkeiten. Geld wird keine Rolle spielen. Nennen Sie mir Ihren Preis,
und ich werde Ihnen hier und jetzt die Hälfte als Anzahlung übergeben.«
»Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Ich kenne einen guten
Privatdetektiv. Er wird Ihren Sohn hundertmal schneller finden, als ich es
könnte. Privatdetektive sind nicht an Dienstvorschriften gebunden. Sie müssen
nicht jedes Mal die Staatsanwaltschaft um Erlaubnis bitten, bevor sie einen
Finger krumm machen.«
»Es wäre mir aber wichtig, dass nichts davon an die Ãffentlichkeit
dringt. Stellen Sie sich vor ⦠bei Burkhards Position â¦Â«
»Da kann ich Sie beruhigen. Ein Privatdetektiv, der nicht absolut
diskret ist, wird bald keiner mehr sein. Der Mann, den ich Ihnen empfehle, ist
wirklich seriös und vertrauenswürdig.«
»Wie heiÃt er?«
»René Pretorius. Seine Nummer finden Sie im Telefonbuch.«
Zu meiner Verblüffung zückte sie ein modernes Handy, zog einen Stift
heraus und begann, die Zunge spitz im Mundwinkel, auf dem Display
herumzupiksen. Sekunden später hatte sie ihn schon gefunden. Einmal mehr fühlte
ich mich alt und von gestern.
Auf dem Schild neben meiner Tür stand ein zweiter Name:
Unter »A. Gerlach, Kriminaloberrat« stand in derselben SchriftgröÃe:
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