Die falsche Frau
die Garderobe neben der Tür.
Nachdem in den vergangenen Tagen prächtiges Altweibersommerwetter geherrscht
hatte, mit dunkelblauem Himmel und einer Sonne, die die Farben zum Leuchten
brachte, waren im Lauf des Nachmittags Wolken aufgezogen, und ein fieser
Nieselregen hatte eingesetzt.
»Heute bin ich ausnahmsweise mal nur zum Vergnügen hier«, erwiderte
ich lachend.
Susi war ein Phänomen. Man brauchte sie nur anzusehen, um sich
sofort besser zu fühlen. Sie strahlte eine unverwüstliche gute Laune aus. Sie
mochte die Menschen, sie mochte ihre Gäste, jeden Einzelnen von ihnen. Wen sie
nicht mochte, der blieb nicht lange ihr Gast. Die schwarze Löckchenpracht war
seit meinem letzten Besuch um einiges kürzer geworden, ansonsten sah sie
genauso aus wie immer. Schlank, gerade, flink, mit buntem Schmuck behängt.
»Durbacher WeiÃherbst, wie üblich? Es ist ein neuer Jahrgang, aber
ich finde ihn fast noch besser als den letzten.«
Sneider hatte ein langstieliges WeiÃweinglas vor sich stehen und
schien sich wohlzufühlen.
»Keith«, sagte er lächelnd, als wir kräftig Hände schüttelten. »In
den Staaten haben wir es nicht so mit den Nachnamen.«
»Alexander.«
Susi stellte ein groÃzügig eingeschenktes Glas vor mich hin. Aus den
Lautsprecherboxen klimperte ein schon tausend Mal gehörter Bossa Nova von Stan
Getz, dessen Titel mir nicht einfallen wollte.
»Wie gefällt Ihnen Heidelberg?«, fragte ich.
»Wunderbar.« Sneider lächelte immer noch. »Für uns Amerikaner ist
das nun mal etwas Besonderes, eine Stadt, die fast tausend Jahre alt ist.
Häuser, die schon den DreiÃigjährigen Krieg überstanden haben. Bei uns gilt ja
ein fünfzig Jahre altes Gebäude schon als Sehenswürdigkeit.«
»Ich nehme an, es hat sich manches verändert, seit Sie hier stationiert
waren?«
»Die Menschen vor allem. Sie sind lockerer geworden. Amerikanischer,
wenn Sie so wollen. Man duzt sich schneller. Man gibt sich nicht mehr bei jeder
Gelegenheit die Hand.«
Wir machten Small Talk, erzählten von unseren Frauen und Kindern.
Sneiders Frau war Dozentin für deutsche Sprache an irgendeiner Highschool.
Meine Frau, Vera, war seit mehr als zwei Jahren tot. Sneiders Kinder, drei
Söhne, studierten praktische Dinge, mit denen sie später leicht einen gut
bezahlten Job finden würden. Meine Töchter wurden in etwas mehr als einer Woche
sechzehn und hatten nicht den leisesten Schimmer, was sie dereinst mit ihrem
Abitur anfangen sollten. Falls sie es überhaupt schaffen sollten, wonach es
zurzeit nicht unbedingt aussah. Irgendwann landeten wir unweigerlich bei
unserer gemeinsamen Arbeit. Inzwischen waren wir beim Du.
»Ihr fürchtet also wirklich, man trachtet eurem Wirtschaftsminister
nach dem Leben?«
Sneider zog den Mund schief. »Wir müssen mit allem rechnen. Das ist
unser Job.«
Ron Henderson war erst seit wenigen Monaten im Amt, nachdem sein
Vorgänger wegen irgendwelcher Aktiengeschäfte hatte zurücktreten müssen.
»Er ist ein harter Hund, heiÃt es.«
»Henderson ist der Prototyp des amerikanischen Konservativen, wenn
du so willst, ein typischer Vertreter des American way of life: vom Pizzaboten
zum Milliardär. Und jetzt zum krönenden Abschluss auch noch in ein hohes
Regierungsamt.«
»Bei so einer Karriere macht man sich vermutlich viele Feinde.«
»Mir ist bisher nicht zu Ohren gekommen, dass er irgendwelche
Freunde hätte.« Sneider grinste mich an, als hätte er einen obszönen Witz
gemacht.
Unsere Gläser waren leer. Nach einem freundlich-fragenden Blick
schenkte Susi nach.
Mehr und mehr Gäste trafen ein. Die Plätze am Tresen wurden
allmählich knapp. Sneider war ein angenehmer und intelligenter
Gesprächspartner, stellte ich fest. Ich mochte seine ruhige, unaufgeregte Art.
Er erzählte von seiner Heimat, den Wäldern Oregons, dem Städtchen, wo er
aufgewachsen war, in dem es nur eine einzige Kneipe, dafür aber drei Kirchen
gab, von seiner Studienzeit in San Francisco, Paris und Berlin, von seinen
Jahren in Heidelberg. Ich lieà ihn reden und hörte zu. Meiner eingestreuten
Frage, welche Behörde denn nun eigentlich sein Gehalt bezahlte, wich er mit
einem Lächeln aus. Irgendwann entdeckte ich Pretorius im Gewühl neben der Tür.
Ich legte Sneider kurz eine Hand auf die Schulter, nickte ihm zu und
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