Die falsche Frau
waren inzwischen abgeriegelt
und von starken Kräften gesichert. Es gab für sie keinen Weg aus der Altstadt
hinaus. Was wir noch nicht wussten: Für die meisten der Autonomen war das gar
kein Problem. Etwa zwanzig Minuten später war der Spuk plötzlich zu Ende. Ãber
zweihundert schwarz gekleidete Menschen, viele mit Helmen auf dem Kopf und
vermummten Gesichtern, hatten sich innerhalb kürzester Zeit in Luft aufgelöst.
Vermutlich hatten sie sich in Wohnungen versteckt, vielleicht auch in Räumen
der Universität, waren im Gewühl der Kaufhäuser untergetaucht, hatten sich
irgendwo umgezogen, ihre Kampfkluft in Kaufhof-Tüten gepackt.
SiebenunddreiÃig Demonstranten waren festgenommen worden, elf davon
mehr oder weniger stark lädiert. Aber auch auf unserer Seite hatte es Verletzte
gegeben. Ein Kollege hatte einen Pflasterstein an den Kopf bekommen und trotz
Helm eine Gehirnerschütterung davongetragen. Darüber hinaus gab es Platzwunden
zu beklagen, verstauchte Knöchel, geprellte Finger, blaue Flecken, blaue Flecken,
blaue Flecken. Und jede Menge Wut. Die Brände waren bald gelöscht, noch nicht
gezählte Scheiben lagen in Scherben, drei umgekippte Pkws waren reif für die
Schrottpresse.
Die Altstadt war übersät von zurückgelassenen Plakaten an kräftigen
Holzstangen: »Bullen killen Jonas!«
37
Zu Hause erwarteten mich meine Töchter mit neuen Fragezeichen
im Gesicht.
»Paps«, begann Sarah, noch bevor ich den Schlüssel aus dem Schloss
gezogen hatte. »Wenn man Geld verdient, dann muss man doch Steuern zahlen.«
»Stimmt.«
»Wir haben in der groÃen Pause mit Chip darüber gesprochen.«
»Ich denke, der versteht vor allem was von Computern?«
Chip war der Spitzname eines ihrer Klassenkameraden, den ich bisher
vor allem deshalb kannte, weil er meinen Mädchen zuverlässig beisprang, wenn es
Probleme mit den PCs gab.
»Gar nicht«, widersprach Louise. »Der ist auch voll der Checker,
wennâs um Politik geht und so.«
»Ihr wart heute auf der Demo. Ich habe euch gesehen.«
»Er sagt, wenn einer viel arbeitet und zum Beispiel hunderttausend
im Jahr verdient, dann muss er ungefähr fünfunddreiÃigtausend davon abgeben.«
»Ihr wart heute auf der Demo.«
»Und wenn einer hunderttausend Euro an Zinsen kassiert, das heiÃt,
er arbeitet überhaupt nichts, dann muss er nur â¦Â«
»Hört ihr schlecht? Ihr wart auf der Demo!«
Die Zwillinge stockten. »Bist du auch da gewesen?«, fragte Louise
schlieÃlich. »Bist du bei den ⦠anderen gewesen?«
Das Wort »Bullen« wollten sie mir gegenüber doch lieber nicht
benutzen.
»Ist euch klar, dass ihr euch strafbar gemacht habt? Ihr könnt von
Glück sagen, dass ihr jetzt nicht im Gefängnis sitzt. Oder im Krankenhaus
liegt.«
»Demonstrieren ist unser gutes Recht!«
»Ist es nicht. Es war eine nicht genehmigte Demo. Ihr habt euch
strafbar gemacht.«
»Aber â¦Â«
»Nichts aber. Und wo wir schon dabei sind: Ihr nehmt seit Neuestem
die Pille?«
»Paps, alle nehmen die Pille«, erwiderte Sarah mitleidig.
»Darf man erfahren, wozu?«
»Hä?«
»Ihr habt mich ganz genau verstanden.«
»Paps, du ⦠du weiÃt schon, wozu man die Pille nimmt?«
»Ich meine, für wen?«
»Wie â für wen?«
Darin, mich leiden zu lassen, waren sie noch selten so gut gewesen.
»Also ⦠na ja, für welche Jungs?«
»Wir kennen viele Jungs«, erklärte Louise mit charmantem Augenaufschlag.
»Wo wir schon beim Thema sind«, ergriff nun plötzlich Sarah die
Initiative. »Wer ist eigentlich die Frau, mit der du dich dauernd triffst?
Nimmt die auch die Pille?«
Auch meine Töchter kannten offenbar die Taktik des überraschenden
Themenwechsels.
Nun stand ich da.
»Also â¦Â«, sagte ich.
»Wir haben dich nämlich auch gesehen«, sagte Louise finster.
Erst mal Zeit schinden. »Wo? Und wann?«
»Verraten wir nicht.«
Was sollte ich sagen? Wie viel Wahrheit durfte ich preisgeben? Ich
kam zu dem Schluss: alles. Ich musste ihnen alles sagen.
Sie waren sehr aufmerksam, als ich von meinem Chef erzählte, der
irgendwann, als er längst verheiratet war, seine homosexuellen Neigungen
entdeckte. Von Theresa, die keine Kinder bekommen konnte und einsam war in
ihrer Ehe, die plötzlich keine
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