Die falsche Frau
mehr war. Und von meinen Bewerbungsunterlagen,
mit denen ich mich seinerzeit um die Stellung eines Kripochefs bemüht hatte,
die ich eigentlich gar nicht haben wollte. Die Unterlagen entsprachen gewiss
nicht den letzten Regeln der Bewerbungspsychologie, hatten aber nicht zuletzt
deshalb Erfolg, weil eine gewisse Theresa Liebekind schon das Bewerbungsfoto
ausgesprochen faszinierend gefunden hatte.
»Mann!«, sagte Sarah nur, als es heraus war.
»Kein Mensch darf davon erfahren. Es geht nicht nur um mich.«
»Klar, Paps. Ist ja echt eine Wahnsinnsgeschichte.«
»Und wie geht das jetzt weiter mit euch?«, wollte Louise wissen.
»Wird sie etwa hier einziehen?«
»Natürlich nicht. Sie ist verheiratet, und sie wird es bleiben.«
Dass wir derzeit Krach hatten, brauchten sie nicht auch noch zu
wissen. Am Ende verbündeten meine Töchter sich noch mit meiner Geliebten gegen
mich.
»Um sich zu lieben, braucht es keine Urkunden und keine gemeinsame
Wohnung«, fügte ich hinzu.
»Wird sie versuchen, sich als unsere neue Mama aufzuspielen?«,
fragte Sarah.
»Dann kriegt sie von mir höchstpersönlich eins auf die Glocke.«
Sie sahen sich an und dachten nach.
Ich wartete auf ihr Urteil.
Es fiel positiv aus.
»Okay«, sagten sie schlieÃlich. »Wann lernen wir sie kennen?«
»Ihr habt sie schon kennengelernt. Wir waren mal zusammen essen bei
Liebekinds. Erinnert ihr euch?«
»Nö.«
Dann lächelten sie. Und bei aller Verwirrung waren sie offensichtlich
auch ein klein wenig stolz. Stolz, einen Vater zu haben, der sie bei einer so
heiklen Angelegenheit ins Vertrauen zog. Und der in seinem ehrwürdigen Alter
noch so verrückte Dinge tat.
»Cool«, lautete das abschlieÃende Urteil. »Echt cool.«
Natürlich war die Demonstration Thema in den Abendnachrichten.
Der Sachschaden wurde auf drei- bis vierhunderttausend Euro geschätzt. Die Zahl
der Verletzten aufseiten der Ordnungskräfte bezifferte der Sprecher mit
einundvierzig. Das klang dramatischer, als es war. Als Verletzung galt bereits
eine Beule oder ein Kratzer im Gesicht. Der Kollege mit der Gehirnerschütterung
lag zwar im Krankenhaus, war jedoch schon wieder guter Dinge, hatte ich von
Rolf Runkel erfahren, der ihn persönlich kannte. Die Anzahl der Verletzten
aufseiten der Demonstranten war nur ungefähr bekannt. Eine empörte ältere Dame
mit bläulich schimmerndem Haar wurde interviewt, noch während sie von einem
Sanitäter versorgt wurde. Sie war als völlig Unbeteiligte ins Kampfgetümmel geraten.
Dabei war sie gestürzt und hatte sich das rechte Handgelenk verstaucht.
Am Donnerstagmorgen herrschte gedrückte Stimmung in der Direktion.
Schon eine Stunde nach Ende der Demonstration war auf YouTube ein Video
aufgetaucht, das die Polizei in keinem guten Licht erscheinen lieÃ. Es ging um
den Sturz der alten Dame. Das etwa neunzig Sekunden lange, wahrscheinlich mit
einem Handy aufgenommene Filmchen zeigte eine Gruppe von vier Kollegen und
einer Kollegin, der ebenso viele Demonstranten gegenüberstanden. Eine heftige
Diskussion war im Gange, es wurde gestikuliert, einer der schwarz Gekleideten
deutete auf die dunkelhaarige Kollegin und brüllte sie mit rotem Kopf an. Verstehen
konnte man nichts, vermutlich nicht ohne Grund gab es keinen Ton zum Film.
Irgendwann stieà ein Kollege den brüllenden Kerl gegen die Brust.
Der GestoÃene taumelte rückwärts, prallte gegen die alte Frau, die überhaupt
nicht begriff, in welch brenzlige Situation sie da gerade hineintippelte. Sie
kippte auf der Stelle um. Ein zweiter Demonstrant, der sich bisher
zurückgehalten hatte, machte den Polizisten nun offenbar Vorwürfe, während er
nebenbei versuchte, der alten Frau auf die Beine zu helfen, die sich jedoch
panisch gegen seine Rettungsversuche zur Wehr setzte. Sie kam erst wieder hoch,
als auch eine junge Frau aus den Reihen der Demonstranten ihr beisprang. Die
Kollegen traten zögernd näher, einer sprach aufgeregt in sein Helmmikrofon. Sie
machten jedoch keinen Versuch, etwas für die Verletzte zu tun. Dann brach das
Video ab.
Die Geschichte war im Grunde nicht weiter dramatisch. Der Kollege
hatte überreagiert, keine Frage. Aber er hatte die alte Frau nicht einmal
berührt. Sie hatte Pech gehabt. Und es war nicht zu verstehen gewesen, was der
Demonstrant zuvor gerufen hatte, womit er den Beamten provoziert
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