Die falsche Frau
daraus, dass die Vorstellung mich erheiterte.
»Ich fühle mich einfach wohler so.«
»Die Tür bleibt zu, weil sie immer zu ist, wenn ich in meinem Büro
bin. Genauso, wie sie immer offen steht, wenn ich nicht hier bin.«
Sie schwieg.
»Ich mag nun mal keine offen stehenden Türen«, fügte ich nach
einigen Sekunden eine Spur verbindlicher hinzu.
Sie antwortete nicht.
Wie kam ich dazu, mich für meine Gewohnheiten zu verteidigen? Sie
war hier Gast und hatte sich gefälligst anzupassen. Sie hatte nett zu sein,
nicht ich, verdammt. Wütend setzte ich mich an meinen Schreibtisch und ergriff
irgendein Papier, während sie unentwegt weitertippte.
»Wo sind Sie eigentlich untergekommen?«, fragte ich, als mir die
Spannung auf die Nerven zu gehen begann. »In Heidelberg gibt es zurzeit nicht
mehr allzu viele freie Hotelzimmer, nehme ich an.«
»In einer kleinen Pension in Walldorf. Sie gehört einem alten
Ehepaar, das ein paar Zimmer im oberen Stockwerk vermietet. Sie sind sehr
freundlich.« Endlich sah sie von ihrem blöden Computerchen auf und in mein
Gesicht. »Ich werde auch gleich verschwinden und ein paar Besuche machen. Dann
haben Sie Ihr Büro wieder für sich allein. Ich werde vor dem Abend nicht zurück
sein.«
Im Vorzimmer stieà Sönnchen einen spitzen Schrei aus, eine halbe
Sekunde später flog die Tür auf.
»Er ist da!«, rief sie mit leuchtenden Augen.
»Wer bitte schön?«
»Der kleine Konstantin!«
Meine aufgelöste Sekretärin sah um sich, als suchte sie jemanden,
dem sie um den Hals fallen konnte.
»Der Kleine von der Frau Vangelis! Dreitausendachthundert Gramm!
Fünfundfünfzig Zentimeter! Vor zwei Stunden erst!«
»Eine Ihrer Mitarbeiterinnen?«, fragte Helena Guballa, nachdem
Sönnchen davongelaufen war, um die sensationelle Neuigkeit in der Direktion zu
verbreiten.
»Meine beste«, seufzte ich. »Sie ist seit sechs Wochen im Mutterschutz
und fehlt mir vorne und hinten. Wen werden Sie heute besuchen?«
Sie nahm ein Blatt von ihrem Schreibtisch und rückte ihre Brille
zurecht. »Judiths ehemalige Deutschlehrerin, die sie in den letzten zwei Jahren
am Gymnasium unterrichtet hat. Die Frau ist inzwischen achtundsiebzig, erinnert
sich aber noch verblüffend gut an ihre Schülerin. AnschlieÃend will ich bei
einer Schulfreundin vorbeischauen, neben der sie einige Monate gesessen hat und
von der ich mir weitere Kontakte erhoffe. Und falls die Zeit reicht, noch
jemanden vom Roten Kreuz, wo sie zweiundachtzig während ihres Studiums â¦Â«
Ich hob abwehrend die Hände. »So genau wollte ich es gar nicht
wissen.«
Ungerührt legte sie die Liste auf den Schreibtisch zurück und wandte
sich wieder ihrem Laptop zu.
Heute stand erfreulicherweise keine Besprechung im Rathaus an,
verriet mein Terminkalender. Eine gute Gelegenheit, mich endlich mit dem Thema
Töchtergeburtstag auseinanderzusetzen. Nachdem ich eine halbe Stunde lang
erfolglos im Internet nach originellen Geschenkideen zur Beglückung weiblicher
Teenager gestöbert hatte, meine Bürogenossin immer noch keine Anstalten machte
zu verschwinden und ich kurz davor stand, in einer väterlichen
Vorgeburtstagsdepression zu versinken, summte mein Telefon.
»Wir haben eine Brandsache mit nicht identifizierter Leiche, Chef«,
sagte Sven Balke, mein zweitbester Mitarbeiter. »Fremdeinwirkung ist nicht
auszuschlieÃen. Wer soll hin?«
Nicht identifizierte Leichen waren eigentlich nicht meine Angelegenheit
als Kripochef. Meine Angelegenheit waren so aufregende Themen wie
Urlaubsanträge, Statistiken, Budgetplanung und Dienstreiseabrechnungen. Alles
Dinge, ohne die ich problemlos leben konnte. AuÃerdem machten mich die endlose
Tipperei der Zielfahnderin und ihr hartnäckiges Nichtverschwinden allmählich
rasend. Natürlich war das Geräusch sehr leise, störte im Grunde kaum, aber sie
schien einen Rhythmus gefunden zu haben, der mein Nervenkostüm in schlechte
Schwingungen versetzte.
Fünf Minuten später war ich zusammen mit Balke auf dem Weg zum
Brandort.
»Ein abgelegenes Häuschen am nördlichen Ortsrand von Sandhausen«,
berichtete mein junger Untergebener aufgeräumt. »Die Feuerwehr ist heute Nacht
um halb zwei alarmiert worden. Als sie ankamen, war das Haus schon fast
komplett runtergebrannt. Die Leiche haben sie erst vor einer halben
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