Die falsche Frau
ich.
»Angefangen hat es ungefähr um neun«, erwiderte der Brandsachverständige.
»Ich wohne nur einen Kilometer von hier. Da bin ich grad mit dem Hund
heimgekommen. Gegen Mitternacht, wie ich ins Bett bin, da hatâs wieder
aufgehört.«
8
Als ich kurz vor Mittag mein Büro wieder betrat, fand ich
es zu meiner Freude still und leer.
»Komische Arbeit hat unsere Frau Guballa«, rief Sönnchen mir nach.
»Finden Sie nicht auch?«
»Für mich wäre das nichts«, erwiderte ich. »Immer nur vor dem
Computer sitzen und rumtelefonieren.«
»Vielleicht besucht sie deshalb so gern Leute«, meinte meine
Sekretärin nach kurzem Nachdenken. »Damit sie mal rauskommt? Glauben Sie denn,
dass diese Judith Landers wirklich noch gefährlich ist? Nach so vielen Jahren?«
»Das spielt für die Kollegin wahrscheinlich gar keine Rolle. Sie
sammelt Informationen über ihre Zielperson, weil es nun mal ihr Job ist,
Informationen zu sammeln.«
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch. Sönnchen stand plötzlich in
der Tür und sah mich an.
»Stellen Sie sich vor, ich hab diese Judith Landers sogar mal getroffen.«
»Wie das?«
Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich mir gegenüber. Heute trug
sie eine neue, hübsch geblümte Bluse zu einem grauen, gerade geschnittenen
Rock. »Heidelberg ist ein Dorf. Im letzten Jahr vor dem Abi bin ich ein paar
Mal auf diesen wilden Partys an der Uni gewesen. Das war damals das GröÃte für
uns: Die Studenten, die Uni, da ist die Post abgegangen. Da ist gekifft worden
und ⦠na ja, Sie wissen schon ⦠Und damals hab ich sie gesehen. Irgendwer hat
gesagt, da drüben, das ist die Judith.« Sönnchen zögerte und sah zum Fenster,
als könnte sie dort in ihre Vergangenheit blicken. »Sie ist anders gewesen als
die anderen. So still und ernst. Sie hat auch nichts getrunken.«
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Das nicht. Irgendwer hat damals schon gesagt, die Judith hätte
Kontakte zur RAF. Ich hab das erst für Gerede gehalten. Später hatâs dann in
der Zeitung gestanden. Sie hat so was ⦠wie soll ich sagen ⦠was
Geheimnisvolles gehabt. Und ein bisschen was Hochmütiges auch. Männer hat sie
nicht an sich rangelassen. Aber damals ist sie ja auch schon liiert gewesen,
soweit ich weiÃ. Mit einem Oberarzt an der Uniklinik. Der ist später
gestorben.«
Sie schwieg für Sekunden mit gesenktem Blick. Dann sah sie mir ins
Gesicht.
»Dieser Mister Henderson soll ja ein ziemlicher Unsympath sein.«
»Wenn die Terroristen dieser Welt alle unsympathischen Menschen
umbringen wollten, dann hätten sie viel zu tun. Und wir auch.«
Ich begann, meine Post durchzusehen. Sönnchen schloss die Tür von
auÃen, öffnete sie jedoch gleich wieder.
»Der Herr von Lüdewitz«, sagte sie empört. »Stellen Sie sich vor,
jetzt schickt er die arme Petra auch noch zum Einkaufen! Seine Sekretärin in
Berlin würd auch hin und wieder Sachen für ihn besorgen, weil er ja immer sooo
viel zu tun hat.«
»Was hat er denn eigentlich zu tun?«
»Das weià kein Mensch so genau. Die meiste Zeit telefoniert er und
staucht seine Leute zusammen. AuÃerdem macht er Witze über die Kleider von der
Petra. Wenn das so weitergeht, dann tut sie ihm noch was in den Kaffee, sagt
sie.«
Die Tür zum Vorzimmer schloss sich, und meine nächste Amtshandlung
bestand darin, Theresa eine längere SMS zu schreiben. Sie hatte mir im Lauf des
Tages bereits drei Nachrichten geschickt, aber ich hatte bisher keine
Gelegenheit gefunden, sie zu beantworten. Sie freue sich rasend auf den Abend,
schrieb sie. Heute war Freitag, neben Dienstag unser zweiter Jour fixe. Was sie
weniger freute: Der Verlag hatte die neuesten Verkaufszahlen ihres Erstlings
geschickt, »Kabale und Liebe am Heidelberger Hof«. SiebenhundertzweiunddreiÃig
Stück waren bisher über die Ladentische der Region gegangen. Der Verleger fand,
es sei ein Achtungserfolg, und das Weihnachtsgeschäft stehe ja noch bevor. Ich
schrieb zurück, dass auch ich mich auf den Abend freute, was die Wahrheit war.
Nach dem Trubel der letzten Tage sehnte ich mich nach meiner Göttin.
Erst seit wenigen Monaten wusste ich, dass ihr Mann und zugleich
mein direkter Vorgesetzter homosexuell war und mir geradezu dankbar dafür, dass
ich regelmäÃig die sexuellen Bedürfnisse
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