Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
Sprecherin im Off
einen Text verlas. Dann die Szene auf den Bahngleisen. Die Gesichter. Die
beginnende Räumung. Noch einmal Zoom auf die Gesichter. Die quäkende Megafonstimme,
die beim besten Willen nicht zu verstehen war.
    Was sagt ein Polizist in dieser Situation, wenn er ein Megafon vor
dem Mund hat? Etwas wie: »Ich fordere Sie auf, die Gleise zu verlassen.
Ansonsten sehen wir uns gezwungen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen …«
    Noch einmal zurück. Wieder die inzwischen schon gut bekannten
Gesichter. Wieder verstand ich nichts.
    Irgendwann fiel mein Blick auf den Ärmel des jungen Mannes im roten
Kapuzenshirt. Dort war ein länglicher weißer Fleck. Ich stoppte den Film.
Vergrößerte, vergrößerte noch einmal, bis erste Buchstaben mehr ahn- als lesbar
wurden. »Spvg… 192… Bad B…«
    Versuchweise gab ich die Zeichenfolge bei Google ein, und
Augenblicke später wusste ich, weshalb Balke und Krauss vergeblich die halbe
Welt am Telefon terrorisiert hatten. Auf dem Ärmel des jungen Mannes stand:
Spvgg 1920 Bad Bergzabern.
    Bad Bergzabern lag in der Südpfalz, nicht weit von der französischen
Grenze und keine hundert Kilometer von Heidelberg entfernt. Die Szene spielte
vermutlich gar nicht in Niedersachsen, wie wir die ganze Zeit geglaubt hatten,
sondern nur eine knappe Autostunde entfernt. Ich wusste, dass die Castoren auf
ihrem Weg nach Gorleben manchmal über Straßburg nach Deutschland kamen.
    Mit dieser Information im Kopf verstand ich plötzlich auch Bruchstücke
von dem, was der Einsatzleiter mit dem Megafon plärrte. Er hielt keine
Ansprache an die Demonstranten. Er kommandierte und leitete die Kollegen an,
die begonnen hatten, die Sitzblockierer wegzutragen. Und er tat dies in
breitestem Pfälzisch.
    Â»Ihr do driwwe, ihr nehmt’s als nexschts die alt Fraa. Die in de
gelwe Jack! Nitt, dass die arm Fraa sisch am End noch erkält!«
    Â»Der Zug ist letzten November tatsächlich durch die Südpfalz
gekommen«, erfuhr ich von Balke. »Und Sie haben recht, es hat damals eine Blockade
gegeben, auf der Bahnstrecke zwischen Lauterbourg und Berg. Gleich hinter der
französischen Grenze.«
    Im Kommentar des Sprechers wurde tatsächlich Dannenberg erwähnt,
allerdings nicht als Ort der Sitzblockade, sondern als Ziel des
Castor-Transports. Eines dieser kleinen Missverständnisse, die in
Sekundenbruchteilen geschehen und einem Ermittlerteam Tage voller sinnloser
Arbeit bescheren können.
    Nun ging es plötzlich sehr schnell. Eine Viertelstunde später kannte
ich den Namen des Kollegen mit dem Megafon. Hauptkommissar Weiland wohnte im
idyllischen Pfälzer Örtchen Sankt Martin, baute im Nebenerwerb Weißwein an,
vorzugsweise Riesling, und war ein Feind der Atomkraft. Hätte er an jenem Tag
dienstfrei gehabt, erklärte er mir empört am Telefon, dann hätte er neben den
anderen auf den Gleisen gesessen. Wenn es sein musste, sprach er ein ganz
passables Hochdeutsch.
    Â»Schon manchmal ein komischer Beruf, den wir uns da ausgesucht
haben, was?« Auch der Pfälzer Hauptkommissar und Nebenerwerbswinzer hatte inzwischen
das Video gesehen. »Der mit dem Lodenmantel, das wird nicht leicht. Aber den im
roten Pulli, den müssten Sie finden können«, meinte er. »Und wenn man
stundenlang nebeneinander im Regen hockt, da schwätzt man doch mal was
miteinander, oder nicht?«
    Tatsächlich kostete es mich nur drei weitere Anrufe, bis ich den
Mann mit dem roten Kapuzenpulli an der Leitung hatte. Ich erreichte ihn an
seinem Arbeitsplatz, einer Baustelle in der Nähe seiner Heimatstadt Bad
Bergzabern, wo zurzeit eine Fabrik für Kunststoffspritzgussteile hochgezogen
wurde. Mein Gesprächspartner hieß Tobias Ganske, leitete einen Trupp
Elektriker, der damit beschäftigt war, die Hallenbeleuchtung zu installieren,
und litt anfangs unter schweren Erinnerungsstörungen.
    Â»Wann soll das gewesen sein?«
    Â»Letztes Jahr, Anfang November.«
    Â»Da war ich nicht dabei.«
    Â»Ich habe ein Foto vor mir liegen, auf dem Sie gut zu erkennen
sind.«
    Â»Fotos kann man fälschen.«
    Â»Herr Ganske, es geht nicht darum …« Ich musste niesen, schnäuzte
mich. »Es geht nicht darum, Ihnen irgendwas vorzuwerfen.«
    Â»Wir sind alle friedlich gewesen. Alle. Keine Chaoten, nur
friedliche Demonstranten. Und Demonstrieren ist ja wohl immer noch mein

Weitere Kostenlose Bücher