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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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»Der Professor. Der hat ihn am besten beschrieben.«
    Â»Rufen Sie den Mann bitte an und fragen Sie ihn nach seiner
Mailadresse. Wir schicken ihm einen Ausschnitt aus dem Video.«
    Ich nahm die DVD aus dem Laufwerk und reichte sie Balke über den
Tisch. Er kannte sich mit solchen Dingen am besten aus. Evalina Krauss hatte
schon ihr Handy gezückt und telefonierte halblaut.
    Â»Glückwunsch«, sagte Helena Guballa, deren Anwesenheit ich völlig
vergessen hatte. »Ihre erste brauchbare Spur.«
    Draußen wurde der Himmel von Stunde zu Stunde dunkler, und meine
Kopfschmerzen wollten und wollten nicht verschwinden. Eine Tablette, die
Sönnchen mir spendiert hatte, wirkte nicht. Eine zweite, die der Handtasche
meiner Bürogenossin entstammte, hatte ich erst vor Minuten genommen.
    Wie üblich gab es Schwierigkeiten. Bei dem Professor kamen zwar
unsere Mails an, aber aufgrund irgendwelcher geheimnisvoller Softwareprobleme
konnte er das Video nicht öffnen. Wenn diese wunderbaren E-Mails einmal zu
irgendetwas nützlich sein könnten …
    Â»Bitten Sie ihn in Gottes Namen herzukommen«, seufzte ich ins
Telefon.»Er soll sich das Video hier ansehen.«
    Â»Er kommt«, erfuhr ich Augenblicke später. »Ob er’s heut noch
schafft, kann er nicht sagen.«
    Der Professor für Ältere Geschichte schaffte es nicht an diesem Tag.
    Der Nachmittag verging mit Belanglosem. Helena Guballa tippte und
telefonierte. Meine Kopfschmerzen zeigten sich auch von der zweiten Tablette
unbeeindruckt und wurden inzwischen von einem verdächtigen Kratzen im Hals
begleitet. Balke und Krauss blieben abends bis acht im Büro und telefonierten
sich die Ohren wund. Dennoch gelang es ihnen nicht einmal, den ungefähren Ort
zu bestimmen, wo die Demonstration im vergangenen November stattgefunden hatte.
Als ich in der Abenddämmerung die Direktion verließ, um mich auf den Heimweg zu
machen, schlug mir der Wind fast die Tür aus der Hand.
    Â»Ich hab mit Fernsehleuten telefoniert, bis mein Telefon gequalmt
hat«, maulte Balke am Freitagmorgen und pfefferte die DVD auf meinen
Schreibtisch. »Evalina hat Bilder von der Demo an Hunderte von Dienststellen im
halben Bundesgebiet geschickt. Nichts. Irgendwas ist da grundfalsch. Sorry,
Chef, aber so kommen wir nicht weiter.«
    Â»Auf der Strecke sind vermutlich zigtausend Demonstranten gewesen«,
sagte ich. »Von Lüneburg bis Dannenberg hat es eine Sitzblockade neben der
anderen gegeben, habe ich gelesen.«
    Helena Guballa war heute wieder einmal unterwegs und würde
vermutlich gar nicht ins Büro kommen, hatte Sönnchen mir eröffnet, als ich
leicht verspätet und stark niesend mein Vorzimmer betrat.
    Â»Und mindestens ebenso viele Kollegen aus allen Ecken Deutschlands«,
ergänzte Balke wütend. »Das ist hoffnungslos.«
    Nachdem er an seinen Schreibtisch zurückgekehrt war, schob ich die
DVD ein zweites Mal ins Laufwerk. Ich fand die richtige Stelle. Spulte ein
wenig vor und zurück auf der Suche nach irgendeinem winzigen Hinweis darauf, wo
das Ganze sich abgespielt hatte. Ohne wenigstens eine ungefähre Vorstellung,
wonach wir suchten, hatten wir keine Chance, da hatte Balke recht. Das
Kennzeichen eines der mächtigen Wasserwerfer hätte einen Hinweis geben können.
Aber der Hintergrund war unscharf, dem Kameramann war es um die Gesichter der
Demonstranten gegangen und nicht um Autokennzeichen. Um diese Mischung aus
Trotz und Angst in den Mienen. Und der festen Gewissheit, auf der richtigen
Seite zu stehen.
    Ich spulte noch weiter zurück, drehte den Ton lauter. Die Szene
unmittelbar vor der, die mich interessierte, zeigte ein Interview mit einem
Politiker, der bei allem Verständnis für das Anliegen der Demonstranten
eindringlich Sachlichkeit und Gewaltfreiheit anmahnte.
    Â»Auch wenn wir alle AKWs wie geplant abschalten«, erklärte er, »wird
es immer noch den Atommüll aus der Vergangenheit geben. Ich persönlich bin und
war nie ein Anhänger der Kernenergie. Aber Politik ist nun einmal die Kunst des
Möglichen, und dieses Problem verlangt eine Lösung. Wir können den strahlenden
Müll ja schließlich nicht auf den Mond schießen.«
    Schnitt. Ein Schwenk über kahle, nasse Bäume, grauer Himmel mit tief
hängenden Wolken, ein Hubschrauber, der seine einsamen Kreise drehte, im
Hintergrund die unverständliche Megafonstimme, während eine

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