Die falsche Frau
mit
Sicherheit beteiligt. Ob als treibende Kraft oder nur als Helferin, ist nicht
bekannt. Die dritte Generation der RAF hat völlig anders gearbeitet als die
erste und zweite. Professioneller, leiser, gnadenloser. Sie waren international
vernetzt und haben diese Vernetzung genutzt, um nach Anschlägen blitzschnell im
Ausland abzutauchen. Sie haben mit der Action Directe zusammengearbeitet, mit
den Roten Brigaden, mit der belgischen CCC. Bei manchen ihrer â übrigens fast
immer erfolgreichen â Anschläge haben wir bis heute nicht einmal einen
Verdacht, wer die Täter waren.«
»Ich erinnere mich an Brigitte Mohnhaupt und ⦠Grams?«
»Wolfgang Grams. Die beiden wurden damals im Rahmen dieser
desaströsen Aktion am Bahnhof von Bad Kleinen überwältigt.«
»Grams wurde nicht überwältigt. Er wurde erschossen.«
»Und auÃerdem ein junger Kollege, wenn Sie sich erinnern. Nur drei
Tage später wurde Judith am Bahnhof von Aachen erkannt und gestellt. Sie war
auf dem Weg nach Belgien. Das Resultat war noch katastrophaler als in Bad
Kleinen: zwei tote Kollegen und eine spurlos verschwundene Judith.«
Im Vorzimmer hörte ich Sönnchen eine Melodie summen. In der Ferne
hupte ein Bus.
»Wer ist die andere Frau?«, fragte Helena Guballa weniger mich als
sich selbst. »Wer ist die tote Frau, wenn es nicht Judith ist?«
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»Sie sollen bitte gleich ins groÃe Besprechungszimmer kommen«,
empfing mich Sönnchen aufgeregt am Dienstagmorgen. »Irgendwas ist passiert. Die
Amerikaner sind ganz aus dem Häuschen, hört man.«
»Was ist mit Liebekind? Wieso geht er nicht hin?«
»Er meint, wo Sie doch schon die ganze Zeit dabei gewesen sind, will
er Ihnen nicht ins Handwerk pfuschen.«
Die Bauarbeiten waren endlich zum Abschluss gekommen. Die
Besprechungen mussten nicht mehr im Rathaus stattfinden.
Seufzend machte ich kehrt.
»Wir nehmen die Drohung äuÃerst ernst«, erklärte Keith Sneider
gerade, als ich das proppenvolle und nach neuem Teppichboden riechende
Sitzungszimmer betrat. Er nickte mir zerstreut zu und wartete, bis ich mich
gesetzt hatte. »Die Website ist uns seit Jahren bekannt. Sie liegt auf einem
Server in Usbekistan, wird aber von Pakistan aus gepflegt. Wie wir aus
verlässlichen Quellen wissen, stecken dahinter hohe Funktionäre der Taliban.«
Obwohl mehrere seiner Landsleute im Raum waren, sprach er deutsch.
»Was genau wird da eigentlich angedroht?«, wollte ein älterer
Beamter vom BKA wissen. Nach seinem selbstbewussten Auftreten zu schlieÃen,
gehörte er zu den oberen Chargen. Der Name auf dem weiÃen Schild, das vor ihm
stand, lautete: von Lüdewitz. Erstaunlich, dass man wochenlang mit einem
Menschen im selben Gebäude arbeiten kann, ohne ihn ein einziges Mal zu treffen.
Bislang hatte er allerdings auch nie an diesen Sitzungen teilgenommen.
»Der Inhalt dieser Botschaften ist nie sehr konkret«, erwiderte
Sneider förmlich. Auf der Leinwand erschien das Bild einer bunten Internetseite
voller fremder Schriftzeichen. Links das unscharfe Foto eines schwarz
vermummten Mannes mit einem Kalaschnikow-Schnellfeuergewehr vor der Brust. »Der
Vertreter des Teufels werde in naher Zukunft das blitzende Schwert Allahs
spüren. Die üblichen Sprüche. Was uns Sorgen macht: Abu Thala, so der Name des
Mannes, den Sie hier sehen, ist Konvertit. Sein wirklicher Name ist David
Hinrichs, geboren in Lüneburg, einundzwanzig Jahre alt und nach unseren
Erkenntnissen von eher bescheidener Intelligenz. Wir kennen den Namen schon
seit geraumer Zeit. Seine Bewertung durch die NSA ist: AAC. ÃuÃerst gefährlich,
äuÃerst ernst zu nehmen, bisher nicht selbst bei Aktionen in Erscheinung
getreten.«
An der Wand erschien eine neue Powerpoint-Folie mit zwei Fotografien
des Gotteskämpfers aus der Zeit, als er sich noch nicht Abu Thala nannte. Der
sommersprossige junge Mann sah aus wie der nette kleine Angestellte von
nebenan, der alten Damen ungefragt die Einkäufe nach oben trägt und morgens auf
dem Weg ins Büro den neuesten Hit von James Blunt vor sich hin pfeift.
»ÃuÃerlich hat er kaum Merkmale, die seine Identifizierung einfach
machen würden.« Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, wirkte Sneider nervös.
»Er sieht auch nicht gerade aus wie der typische al-Qaida-Kämpfer,
mit seinen Kupferlocken«, meinte von Lüdewitz sarkastisch.
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