Die falsche Frau
wieder
hinaus? Welches waren die möglichen Fluchtwege im Krisenfall? Wo hatte die
Presse Zutritt und wo nicht? Die Akkreditierungsfrist für die Journalisten war
bereits vor einer Woche abgelaufen, und jeder, der sich angemeldet hatte, wurde
zurzeit einer eingehenden und tiefschürfenden Ãberprüfung unterzogen. Und
schlieÃlich: Wo würden die Absperrgitter stehen und wo die Polizeikräfte, die
das Volk auf gebührendem Abstand von seinen Vertretern halten sollten?
An den Räumungsplänen für den Katastrophenfall wurde immer noch
gearbeitet. Die Amerikaner wünschten sich einen eigenen Fluchtweg, der im Fall
des allerschlimmsten Falles nicht von irgendwelchen panisch herumirrenden
Deutschen blockiert wurde. Im praktischerweise nicht weit entfernten
Uniklinikum waren für die Zeit der Tagung Krankenzimmer und Intensivbetten
reserviert. Von Mittwochmittag bis zur Abreise der Politiker am Freitagnachmittag
würden ständig mehrere Operationsteams in Bereitschaft gehalten werden.
Zum Glück kam niemand auf die Idee nachzurechnen, was der ganze
Irrsinn kostete.
Als alle dachten, die Besprechung sei zu Ende, erhob sich Keith
Sneider und trat nach vorn. Wortlos verband er seinen Laptop mit dem Beamer,
drückte einige Tasten. An der Wand erschien ein SchwarzweiÃvideo. Erst nach
Sekunden erkannte ich, dass das Video den Eingangsbereich eines Schiffs zeigte.
Eine lange Reihe von Personen trat durch eine breite Stahltür. Alte, schwarz gekleidete
Frauen, Männer mit wettergegerbten Gesichtern. Junge Familien mit Kindern.
Sneider sah in die Runde.
»Der Film, den Sie hier sehen, stammt aus der Ãberwachungskamera
einer Fähre, die zwischen Larnaka in Zypern und Athen verkehrt.«
Er wartete noch einige Sekunden, dann stoppte er das Video.
»Und der junge Mann, den Sie jetzt sehen, ist nach unseren Erkenntnissen
David Hinrichs alias Abu Thala.«
Der unauffällige, schmale Mann war sportlich gekleidet, trug eine
Basecap auf dem Kopf und eine groÃe Reisetasche über der Schulter.
»Seit gestern hält Hinrichs sich in einem Hotel in einem nördlichen
Vorort von Athen auf«, fuhr Sneider fort. »Wir gehen davon aus, dass er sich
irgendwo dort mit seinen Helfern treffen wird, um dann vermutlich auf
getrennten Wegen nach Deutschland weiterzureisen. Sobald alle versammelt sind,
möglichst noch in Athen, werden wir zuschlagen.«
»Ich finde ja, die sollten sich lieber auf einer einsamen Insel
treffen«, hörte ich einen der BKA-Beamten seiner Kollegin zuraunen, als die
Sitzung gegen halb vier endlich ein Ende fand und alles zur Tür drängte.
»Die Amis haben nun mal einen Narren gefressen an diesem verflixten
Heidelberg«, erwiderte sie achselzuckend. »Mir persönlich wäre die Insel auch
sympathischer. Hier gibtâs ja nicht mal Palmen.«
»Inseln sind langweilig«, sagte Sneider grinsend, der plötzlich
neben mir ging. »Nächstes Mal vielleicht Neuschwanstein?«
»Gerne.« Ich grinste zurück. »Liegt nicht in meinem Zuständigkeitsbereich.«
»Mister Henderson freut sich sehr auf Heidelberg.«
»Und ich werde mich freuen, wenn er wohlbehalten wieder in seinem
Flugzeug sitzt.«
Theresa hatte mir eine SMS geschickt, bemerkte ich, als
ich wieder an meinem Schreibtisch saÃ. Zum zweiten Mal in zwei Wochen hatte sie
keine Zeit für mich. Das Buch war wichtiger. Das Thema sooo spannend. Obwohl
sie mit ihren Recherchen noch längst nicht fertig war, hatte sie sich nicht
länger zurückhalten können und mit dem Schreiben begonnen.
»Es schreibt sich wie Limonade«, las ich. »Wenn es läuft, muss man
es laufen lassen.«
Es tat ihr schrecklich leid und nächste Woche ganz bestimmt und
vielleicht einmal auÃer der Reihe und so weiter â¦
Ich war nur ein ganz kleines bisschen sauer und nahm mir vor, den
überraschend freien Abend der Körperertüchtigung zu widmen. Ich würde endlich
wieder einmal joggen gehen.
»Chef, ich hab hier was«, sagte Evalina Krauss gleich
Montag früh am Telefon. »Könnten Sie mal kurz runterkommen?«
»In Ihr Büro?«
Keine zwei Wochen, nachdem Klara Vangelis ihren Mutterschutz
angetreten hatte, verlegte Evalina Krauss mit meinem Einverständnis ihren
Arbeitsplatz an deren Schreibtisch. Vorerst nur vorübergehend, hatten wir
vereinbart. Krauss und Balke wollten gerne auch während der Dienstzeit
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