Die falsche Frau
ein stilisierter Adlerkopf, darum herum waren Worte gedruckt
wie »power«, »hate« und »kill«. An Hals und Oberarmen groÃflächige
Tätowierungen. Rasiert hatte er sich vor Tagen zum letzten Mal. Am Tisch
lehnten seine schwarzen Krücken mit roten Griffen.
»Also?«, fragte er. »Was wird nun?«
»Was soll werden?«, fragte ich zurück. »Wir unterhalten uns ein
bisschen.«
Obwohl es verboten war, führte ich die Vernehmung allein durch.
Sollte es später Ãrger geben, dann würde es mein Ãrger sein. Nicht nur Balke
kochte zurzeit vor Wut.
»Hast du was an den Ohren, Mann?«, brüllte Horstkotte und drosch mit
zwei gefährlich kräftigen Fäusten auf den Tisch. »Ich verlange einen Anwalt,
ScheiÃe! Ihr dürft mich nicht verhören, solange kein Anwalt dabei ist.«
»Das hier ist kein Verhör, sondern ein nettes Gespräch zwischen
Erwachsenen. Sie sitzen hier nicht als Verdächtiger, sondern als potenzieller
Zeuge. Hier läuft keine Videokamera und kein Tonband. Es wird kein Protokoll
geben. Wir sind ganz unter uns.«
Er wurde noch lauter: »So läuft das aber nicht! Nicht mit mir. Ich
will jetzt sofort einen Anwalt! Verstehst du mich: Anwalt! Anwalt! Anwalt!«
»Sie brauchen nicht zu schreien. Ich höre ganz gut.«
Sekundenlang musterte er mich mit schmalen Augen und mahlenden
Kiefern. SchlieÃlich schien er zu begreifen, dass er mit seinem aggressiven
Gehabe nicht weiterkam.
»Was wollt ihr eigentlich von mir? Ich hab keinem was getan.«
»Dann hat der Kollege sich seine schweren Prellungen wohl selbst
zugefügt. Zwei andere, denen Sie nichts getan haben, mussten auch in ärztliche
Behandlung. Ich weià ja nicht, wie man das in Ihren Kreisen nennt. Ich nenne es
schwere Körperverletzung.«
Nicht nur die Kollegen hatten Schrammen und Beulen davongetragen bei
dem Handgemenge. Auch Horstkotte selbst hatte einiges abbekommen. Sein rechtes
Auge sah aus, als würde es demnächst in allen Farben des Regenbogens schillern.
»Die Ãrsche haben mich angefasst! Dazu hatten sie kein Recht!«
»Doch, das hatten sie. Wenn Sie sich nicht wie ein Irrer aufgeführt
hätten, dann säÃen Sie jetzt nicht hier.«
Einige Sekunden lang starrte er mit verstockter Miene auf den Tisch.
Dann sagte er mit veränderter Stimme und gesenktem Blick: »Was ist mit Jonas?«
»Er lebt. Aber es hat ihn schlimm erwischt. Und damit es keine
Missverständnisse gibt: Ihr Freund ist freiwillig auf dieses Dach geklettert.
Niemand hat ihn gezwungen. Niemand hat ihn gestoÃen. Wissen Sie, warum er so
eilig davongelaufen ist?«
»Wenn ich es wüsste, du wärst der Letzte, dem ich es erzählen würde.
Was wollt ihr eigentlich von mir? Was soll der ganze Stress?«
Morgen würde in den Zeitungen zu lesen sein, er sei beim Versuch,
sich der vorläufigen Festnahme zu entziehen, unglücklich gestürzt. Wie genau
die restlos missglückte Aktion abgelaufen war, hatte mir bisher niemand
verraten wollen. Ich beugte mich vor, so weit wie der Tisch es zulieÃ, und
fixierte ihn.
»Es geht mir nicht um Sie«, sagte ich ruhig, aber unfreundlich. »Sie
interessieren mich einen Dreck. Mich interessieren Peter von Arnstedt und Jonas
Jakoby.«
Mit ungerührter Miene massierte er sein rechtes Handgelenk, das bei
dem Gerangel vielleicht auch etwas abbekommen hatte.
»Arnstedt? Nie gehört. Jonas kenne ich kaum.«
»Er hat im Zimmer neben Ihrem geschlafen.«
»In der WG ist viel Wechsel. Da hätte ich viel zu tun, wenn ich mir
jedes Gesicht merken wollte.«
Ich faltete die Hände auf dem Tisch und atmete tief ein.
»Jetzt passen Sie mal auf«, sagte ich mit mühsam beherrschter
Stimme. »Es gibt für Sie jetzt genau zwei Möglichkeiten. Entweder Sie arbeiten
mit mir zusammen, oder wir sitzen hier, bis Sie grün werden. Es ist mir
vollkommen wurst, ob es einen Tag dauert oder zwei oder eine Woche. Wenn ich
nicht mehr kann, dann wird ein anderer mich ablösen und Ihnen auf die Nerven
gehen. Und am nächsten Morgen werde ich wiederkommen, und Sie werden immer noch
hier sitzen.«
»Na toll! Ist das etwa alles, was ihr hier zu bieten habt? Wie wärâs
mit Waterboarding? Schlafentzug? ScheinerschieÃung?«
»Solche Umstände habe ich gar nicht nötig«, erwiderte ich locker.
»Es gibt Arten von Folter, die kein Arzt
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