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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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etwas in sein Funkgerät, ein schwarzer
Helm erschien in der Luke. Ich hörte den Kollegen rufen, der Fliehende – jetzt
erst entdeckte ich, dass er einen Rucksack über der Schulter trug – zögerte
kurz, wurde dann schneller, die Schritte jetzt noch unsicherer als zuvor. Der
Kollege rief ihn ein zweites Mal an, gab einen Warnschuss ab.
    Â»Das ist er!«, keuchte Balke. »Das ist das Arschloch!«
    Der Kollege an der Luke schoss ein zweites Mal in die Luft. Das
Ergebnis war lediglich, dass der Flüchtende sich duckte, endlich die Brandmauer
zum Nachbarhaus erreichte, dort einen guten Meter Höhenunterschied zu
überwinden hatte, was ihm wegen des Rucksacks nicht im ersten Anlauf gelang.
Als er endlich oben war und sich wieder aufrichtete, bemerkte er, dass er
erwartet wurde. Selbstverständlich hatte ich auch die Dächer der angrenzenden
Häuser sichern lassen.
    Der Mann mit dem Rucksack verharrte, sah verstört zurück, wieder
nach vorn, machte einen stolpernden Schritt zur Seite und glitt aus. Er
plumpste unsanft auf den Hintern und begann zu rutschen. Ziegel rutschten mit,
rasch wurde er schneller, ließ den Rucksack fahren, versuchte verzweifelt, sich
irgendwo festzukrallen, wo es nichts zum Festkrallen gab. Ein erst wütender,
dann schon verzweifelter Schrei. Ein Schrei, der jedem, der ihn hören musste,
in den Ohren und in der Seele schmerzte. Ein Schneefanggitter am Rand des Abgrunds
bildete die letzte Hoffnung, den letzten Widerstand vor dem Sturz, war jedoch
über die Jahre zu verrostet, flog zur Seite, ohne dem abwärts schlitternden
Körper nennenswerten Halt zu bieten.
    Zwei, drei gellende Sekunden später schlug der Körper mit einem
dumpfen Laut auf dem Gehweg auf, und es war wieder still.
    Aus der Haustür gegenüber quollen Menschen ins Freie. Nacheinander
erschienen zwei junge, blasse Frauen mit wirrem Haar und reichlich Metall in
den ungeschminkten Gesichtern, ein älterer Mann, der einen verstörten Eindruck
machte, ein untersetzter Kerl in Jeans und T-Shirt, der sich im Gegensatz zu
den anderen nicht für den leblosen Körper am Boden interessierte, sondern auffallend
unauffällig in die andere Richtung strebte, wo er nach wenigen Schritten Kollegen
in die Arme lief, die ihn freundlich, aber nachdrücklich nach seinem Ziel und
seinen Papieren fragten.
    Schließlich erschienen zwei SEK-Männer in der Haustür. Sie hielten
einen großen, kräftigen Kerl in Schwarz zwischen sich, der sich ebenso wütend
wie erfolglos gegen ihre Gängelung sträubte. Er humpelte. Sein rechter Fuß
steckte in einem hellblauen Verband. Ein dritter Kollege folgte mit zwei
schwarz lackierten Krücken in der Hand.

30
    Â»Ich rede nicht mit Bullen!«, waren die ersten Worte, die
ich aus Adrian Horstkottes breitem Mund hörte.
    Inzwischen war es später Vormittag geworden. Die Staatsanwaltschaft
hatte einen ausführlichen Bericht verlangt, Liebekind hatte mich dringend zu
sprechen gewünscht, die Medien hatten uns mit Anfragen bombardiert. Jonas
Jakoby, der Mann mit dem Rucksack, lag auf der Intensivstation des Uniklinikums,
Abteilung Innere Medizin. Ob und in welchem Zustand er überleben würde, konnte
zurzeit noch niemand sagen.
    Â»Schade.« Ich lehnte mich zurück, versuchte, entspannt zu wirken.
Aber ich fürchte, es gelang mir nicht allzu gut. »Dann wird das ein langer Tag
werden für uns beide.«
    Â»Ich sage nichts ohne meinen Anwalt.«
    Alles war schiefgegangen. Die Festnahme Jakobys, des Mannes, der auf
Balke geschossen hatte, war gescheitert. Horstkotte, den ich eigentlich nur als
Zeugen hatte sprechen wollen, hatte sich des tätlichen Angriffs auf Polizisten
schuldig gemacht, weshalb er nun vorläufig festgenommen und offensichtlich
nicht übermäßig gut auf mich zu sprechen war.
    Â»Sie kriegen Ihren Anwalt, keine Sorge.«
    Ich hatte einen narbengesichtigen Schlägertyp mit finsterem Blick
erwartet. Stattdessen saß mir ein großer, muskulöser Mann gegenüber, dessen
wacher Blick Misstrauen und überraschend viel Intelligenz verriet. Er war
achtunddreißig Jahre alt, wirkte jedoch mit seinem faltenzerfurchten Gesicht
älter. Seine Kleidung war die übliche Uniform von Berufsdemonstranten:
schwarze, relativ saubere Jeans und ein ausgewaschenes T-Shirt in derselben
Farbe, dessen Aufschrift ich nur teilweise entziffern konnte. In der Mitte
prangte etwas wie

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