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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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ihn gezielt und
auch einmal abgedrückt, zum Glück jedoch nicht getroffen. Nach dem Projektil
wurde immer noch gesucht. Der Schuss war offenbar weit danebengegangen. Ob aus
Absicht oder Unfähigkeit, würde zu klären sein.
    Der zweite Knall, den ich gehört hatte, war ein Warnschuss aus der
Dienstwaffe meines Untergebenen gewesen. Im selben Moment, als er abdrückte,
war er gestolpert, und dann war da dieser Ast gewesen. Außerdem hatte er sich
beim Sturz das linke Handgelenk verstaucht, das rechte Knie aufgeschlagen und
sein Handy verloren. Dies hatte er jedoch erst später bemerkt, als er die Verfolgung
nach weiteren Hundert gehumpelten Metern aufgeben musste.
    In der Presse klang das heute natürlich völlig anders: »Mysteriöse
Schießerei an der Autobahn – Kripobeamter schwer verletzt!« Und natürlich hatte
man sich die Frage nicht verkneifen können, ob der dramatische Zwischenfall
möglicherweise im Zusammenhang mit den Wirtschaftsgesprächen stehe. Auf meine
Weisung hin rückte unsere Pressestelle nur die allernötigsten Informationen
heraus, und so hatten sich die Journalisten die vermeintliche Wahrheit
notgedrungen zusammengereimt.
    Dieses Mal durfte nichts schiefgehen.
    Grundrisszeichnungen des Hauses lagen vor, wir wussten, wie viele
Personen in welcher Wohnung hausten, sämtliche denkbaren Fluchtwege waren
gesichert, zwei Notarztwagen warteten an der nächsten Ecke, und sogar das
Sondereinsatzkommando hatte ich vorsichtshalber angefordert. Nun stand ich
zusammen mit Balke im Halbschatten eines Hotels auf der gegenüberliegenden
Straßenseite. Zum Glück herrschte noch wenig Betrieb auf den Gehwegen und
Fahrbahnen. Auch Evalina Krauss hatte es sich nicht nehmen lassen, der Aktion
beizuwohnen. Sie stand einige Schritte entfernt in einem Hauseingang.
    Das schmucklose vierstöckige Mietshaus, in dem die Gesuchten sich
versteckt hielten, stammte aus den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts. Die
Fassade war aus rotem Klinker gemauert. An der Außenwand lehnten Fahrräder.
Teils klapprige Uraltmodelle, aber auch zwei relativ gut erhaltene Rennräder
entdeckte ich sowie ein leuchtend orange lackiertes Mountainbike ohne
Beschriftung am Rahmen und mit auffallend hoch montiertem Sattel. Die WG hauste
im zweiten Obergeschoss rechts.
    Gemeinsam beobachteten wir eine gebeugte alte Frau, die ihre schmale
Rente dadurch aufbesserte, die Rhein-Neckar-Zeitung mit der spektakulären
Schlagzeile in die Briefkästen zu stopfen. Zu manchen Häusern hatte sie einen
Schlüssel, dann verschwand sie immer für Sekunden, bei anderen befanden sich
die Briefkästen an der Außenseite. Mit mühsamen kleinen Schritten zog sie eine
leise quiekende Handkarre hinter sich her. Sie betrat das Haus, das ich in
Kürze stürmen lassen würde, kam wieder heraus. Dann war sie endlich außer
Sichtweite, es war siebzehn Minuten vor sechs, ich nahm das Funkgerät an den
Mund.
    Auf mein Kommando hin wurde die Straße in einiger Entfernung durch
quer stehende Streifenwagen versperrt. Ich gab den Befehl zum Zugriff. Zwei
schwarz gekleidete Kollegen mit Helmen, Visieren und Maschinenpistolen in den
Händen huschten geduckt zur Haustür, machten sich dort zu schaffen, waren Augenblicke
später im Inneren verschwunden. Weitere Männer folgten ebenso lautlos. Hinter
den Fenstern der WG war das letzte Licht erst gegen halb vier gelöscht worden,
hatte man mir berichtet. Seither hatte sich dort oben nichts mehr bewegt.
    Im Haus erhob sich Geschrei. Viel zu früh, die Kollegen konnten noch
nicht oben sein. Ein alter Mann keifte. Das war schlecht. Sehr schlecht. Meine
Hände wurden feucht, in meinem Rücken kribbelte es unangenehm. Ich trat einen
Schritt vor, um besser zu sehen. Balke fluchte und schien große Lust zu haben,
über die Straße zu laufen und bei der Stürmung der Wohnung tatkräftig
mitzumischen. Ich hörte etwas krachen, mehr Geschrei, Männerbrüllen, knappe
Befehle. Dann war es für lange Sekunden vollkommen still. Schließlich die
erlösende Meldung per Funk: Die Wohnung war gesichert, die Anwesenden nicht
gerade freundlich, aber friedlich.
    Â»Da!«, hörte ich Evalina Krauss rufen. Sie deutete nach oben.
    Jetzt sah auch ich den Mann auf dem Dach. Er krabbelte gerade
unbeholfen aus einer Luke, schien sich vor der Höhe zu fürchten, stakste und
stolperte über die Ziegel, Balke brüllte

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