Die falsche Herrin
Chaise kutschieren. Sie besitzt mehr Spitzen als eine Prinzessin. Und ergeht sich im Garten der Pracht.»
«So ist das!»
Die Wäscherinnen nicken.
«Anders ist das!» Joannes’ Mündel greift nach den Sternen. Und das ist keiner Sterblichen gestattet. Es ist gegen die Ordnung der Welt!
Die Herrschaft von Montlau vertraut ihr. Von den Dienstboten wird sie mit Achtung behandelt.
Dies wird die Bitzenin später mehrfach vor Gericht vermerken.
«Man schenkte mir Vertrauen. Die Leute haben mich gern gehabt. Die Welschen haben einen Umgang. Sie haben mich Demoiselle genannt. Es herrschte ein Ton…» – die Bitzenin küsst ihre Fingerspitzen – «… ein Ton, wie unter Engeln. Auch die Kinder wurden vom Dienstpersonal mit Achtung behandelt. Im Schloss Montlau wird keins geboren, um zu hungern, Kälte und Schmerzen zu erdulden, sondern um vom ersten Jahr an auf einem Schaukelpferd zu wippen, hundert Bürstenstriche zu bekommen, mit einer Essensbüchse über der Brust zur Klosterschule zu gehen, wo es einen Federkiel in den Fingern halten lernt.»
Diese Leute hätten anderseits von ihr profitiert.
«Wie denn? Wovon denn?» Die Bitzenin rede gespreizt. Sie solle sich erklären.
Sie erklärt es denen in Schwyz. Dort habe man an ihr etwas geschätzt, das man ein über sich hinauswachsendes Wesen nenne. Ihr Auftreten, ihre Begeisterung. Ihre Neugier, ihren Lerneifer. Ihren Kopf, der so klar sei, wie es der Sieur von einer Frau nicht erwartet hatte. Aber auch ihre Dankbarkeit, Keuschheit und Zurückhaltung. Vor allem aber ihre Bildung.
Die Bitzenin bringe die Hiesigen zum Lachen. Sie, die nicht lesen und nicht schreiben kann!
Dort hat niemand gelacht. Sie war nicht nur wohlgelitten, sie war eine Respektsperson. Man hat sie den Kindern als Vorbild empfohlen. Zum Leidwesen der Eltern wollten die Kinder nicht mit einem Buch durch die Seigneurie wandern. Kinder sind Kinder. Sie warfen den Federkiel in eine Ecke und spielten. «Wozu Latein?», fragten sie. «Um später Waschseile zwischen die Bäume zu spannen? Trauben zu lesen, in Fässer abzufüllen, diese zur Dordogne zu rollen, wo sie nach England eingeschifft werden?» Die Kinder haben keinen Augenblick überlegt, dass nicht sie es sein werden, die diese Arbeiten verrichten, sondern die Bevölkerung von Moulon. Die Tiers arbeiten für sie. Im Château gehört man dem zweiten Stand des Landes an. Die Noblen befehlen, planen, kontaktieren, verpachten, vergrößern ihre Bibliothek und disputieren über die Bücher.
«Bildung weitet den Geist», erklärte der Sieur seinen Kindern. «Es ist kein Handwerk. Waschen ist ein Handwerk, Fässer bauen, keltern. Ein Handwerk dient dem Gelderwerb. Doch der Sinn der Bildung ist es, weise zu werden. Für einen gemeinen Zweck darf man die Gnade der Musen nicht bemühen. Sonst wäre unser Stand ja auch von anderen abhängig.»
Die Bitzenin war hingerissen. Sie hat kein Wort verstanden.
Er sagte: «Das Leben sei euer Handwerk und eure Kunst!»
Der Chinareisende bleibt am Fuß der Mythen. Noch immer weiß niemand, wer er ist. Und warum er gekommen ist. Weshalb er so viele Fragen stellt. Und was die Zeichen bedeuten, die er in sein Buch hineinmalt.
Er macht Besuche im Herrenhaus. Und die Redingin: eine voll erblühte Rose. Wann wird er beim Richter um ihre Hand anhalten?
Sebel berichtet, der Chinareisende wechsle das Thema, rasch wie der Wind.
«Er schwafelt von Ungeheuern, die es in anderen Erdteilen gibt. Er zeigt Bilder. Auf den Bildern kann man sehen, dass die Bewohner von China gelb sind und Augen wie Schlitze haben. Die Männer flechten das Haar zu Zöpfen. Die Frauen tragen einen geschopften Haaraufbau, den sie auf dem dünnen Hälslein kaum herumtragen können. Ihre winzigen Kinderfüße stecken in hohen Schuhen. Die Riesenmasche auf ihrem Rücken reißt sie schier hintüber zu Boden. Und so trippeln sie mit kleinen Schrittchen wie farbige Vögel dahin.»
Der Chinareisende steigere sich beim Reden in Begeisterung. Er stürmt vorwärts, dass die Redingin trippeln muss. «Sie hungert nach Wissen», sagt Sebel.
Auch den Dorfbewohnern kommt zu Ohren, dass die Jesuiten in jenem Teil der Welt Privilegien genießen. Dass sie geachtet sind wegen ihrer Bildung und Kompetenz. Einer von ihnen, mit dem Namen Johann Adam Schall von Bell, sei gar zum Mandarin erster Klasse erhoben worden, denn der Pater hat die Kalenderreform eingeführt und dem Kaiser von China ein Rohr geschenkt, mit dem er in die Ferne sehen kann.
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