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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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kein Strahl des Sonnenkönigs erreicht. Ihren Leuten gilt ein König wie ein Gewöhnlicher. Fremde Vögte bringen sie um.
    «Und trotzdem kommt sie hierher?»
    Was sollen sie in Moulon von dem Gast im Château halten?
    Die Stallburschen ersteigen die Atlaszeder, um diese mutige Dame zu erspähen. Sie macht endlose Wanderungen durch den Garten. Eine Art Pfau.
    «Aber sie pflückt nicht einmal Kräuter für meine Küche», sagt Babette. «Dazu müsste sie die Handschuhe ausziehen.»
    «Mademoiselle macht Etüden», erklärt Clémence. «Sie versteht dein Patois nicht. Sie ist des Französischen nicht mächtig. Ist auch nicht gewohnt, mit dem Personal zu reden. Aber sieh doch, Babette, wie unser vornehmes Fräulein geht! So elegant und mit unendlicher Noblesse. Drückt sie nicht vornehme Nachdenklichkeit aus?»
    «Sie liest unentwegt», meint Madame, «sie verdirbt sich die Augen.»
    «Aber unsere Dichter kennt sie nicht», entgegnet trocken der Sieur, der dabei ist, seine Aufwendungen in ein ledergebundenes Register einzutragen. «Von der Comédie française hat sie nie gehört. Wie lange hielt die Familie sie wohl in der Klosterschule unter Verschluss? Une tragédie! Besonders für eine Angehörige des Kernvolks vom Gotthard. Es rühmt sich einer Freiheit, die größer ist als in jedem anderen Land. Dort sind sie keinem König und keinem Klerus verpflichtet. Nur Gott und sich. So man die eigene Person überhaupt im selben Atemzug nennen darf. Sie ist ein Mädchen, bon! Paff!»
    Die Anwesenheit des fremden Gasts verleiht dem Chateau Glanz. Es weilt nicht immer so hoher Besuch auf Montlau. Die Fensterladen der unbenutzten Zimmer sind jetzt aufgeklappt. Beim Turm wurden die Brennnesseln abgehackt und die Mauerfugen vom Efeu befreit. Täglich zitiert Clémence mit fuchtelnden Armen einen Knecht zum Hof, damit er den Taubenkot zusammenfege. «Wie sieht das denn aus in den Augen unserer ausländischen Demoiselle!»
    Die Nachricht vom hohen Gast wird von Moulon zur Dordogne getragen. Die Neuigkeiten setzen mit den Schiffern über den Fluss. Innerhalb von Stunden werden sie in St-Emilion registriert.
    Die Noblen der Vignobles melden ihren Besuch beim Sieur von Montlau und hochgeehrten Membre de la connetablie an. Die Dame lädt aufs Château zum Tee. Mittelpunkt ist Demoiselle Reding aus Schwyz.
    Die Eidgenossin wird umarmt und angestrahlt. Man redet auf sie ein. Man versucht ihre Mimik und ihre Zeichensprache zu ergründen. Wie anmutig sie auf der Kante eines gebrechlichen Stühlchens sitzt und geheimnisvoll lächelt! Comme c’est mignon – die ganze Zeit hält sie mit spitzen Fingern schneeweißes Meißen vor das Kinn!
    Man war immer der Ansicht, es gebe im Land der hölzernen, ruppigen Söldner keine eleganten, anmutigen, liebreizenden Frauen. Nun muss man sich eines Besseren belehren lassen.
    Die Noblen laden zum Gegenbesuch.
    «Sie ist ein Himmelsgeschenk.» Madame schlägt ein Kreuz.
    Noch nie gab es in dieser Gegend so viele Gesellschaften. Das plötzlich erwachende Interesse stürzt das ganze Château in ein Fieber. Fast täglich rumpelt eine Kutsche von Moulon herauf. Sieur erteilt Anweisung, die Geleise und Schlaglöcher im Karrenweg auszubessern, Babette schaukelt jammernd und mit fuchtelnder Kelle durch ihre Küche, Clémence inspiziert das Geschirr, die Gedecke müssen zum Stand der Gäste passen.
     
     
    Ihr Erfolg macht die Bitzenin schwindlig. Es gibt Augenblicke, da wird ihr fast übel. Da sehnt sie sich in die laue Lauge eines Waschbottichs zurück, wo es nichts zu bedenken, zu lavieren und vorzuspielen gibt.
    Doch sie hat im Leben noch nie etwas offeriert bekommen. Sie nimmt die Geschenke des Tages an. Die Bewunderung. Die Billets d’amour. Das Ihr-Beistehen und Zu-ihren-Diensten-Sein. Die Blumen und Bonbonnieren.
    Im Château kommen Sträuße an, die üppiger sind als jene, die von der Redingin durchs Herrenhaus getragen wurden. Ein Bewunderer rezitiert ein Poem.
    «Merci», sagt die Bitzenin, legt das Blatt in ihr Buch und zieht sich zurück.
    Viele Augenpaare begleiten sie zur Tür.
    «Woran hängt ihr Herz?»
    «Am Garten.»
    Im Schutz des Fliederbusches putzt sie sich die Zähne mit Salbeiblättern und überlegt, wie sie nach Versailles kommt. Am besten mit der Chaise. Am besten in Begleitung des Sieurs und seiner Dame. Er könnte der Wache das Fehlen von Ausweispapieren erklären. Er könnte behaupten, der König erwarte ihn und er erscheine nicht vor ihm ohne die papierlose Dame. Notfalls könnte

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