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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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der Sieur die Wache bestechen.
    Wenn sie ihm begegnet, macht sie ihren Knicks. Und er begegnet ihr, wie man sich denken kann, überall, auf dem Laubengang, in der Bibliothek, in den Korridoren der Seitenflügel, auf den endlosen Kieswegen des Gartens.
    Das Rauschen ihrer Röcke gefällt ihm, auch ihre Huldigung, ihr Knicks. Mit einem kreiselnden Ruck breitet sie die Kleider um sich, zieht den linken Fuß zurück und beugt ihr rechtes Knie. In aufrechter Haltung sinkt sie dem Sieur mit einer Eleganz zu Füßen, die an eine langsam zu Boden gleitende Glocke aus feinster Seide denken lässt.
    Vielleicht zieht er Vergleiche. «Die Gemahlin, wie macht sie den Knicks? So lala! Wackelnd, prustend, trampelnd.» So dass er immer ihr Ausrutschen befürchten muss. Dass er sich blamiert beim Versuch, ihr beizuspringen, weil sie dann womöglich beide auf den Boden purzeln.
    «Da die Wege des Sieurs sich derart oft mit denen von Demoiselle kreuzen, muss sie ihm inzwischen fast so viel bedeuten wie Favory.» Clémence entgeht nichts. «Vielleicht hat die Gouvernante ja recht.»
    Die Bitzenin sucht den Schlossherrn. Sie sticht mit dem Büchlein gegen die Brust des Sieurs. Sie spricht den Namen des Gartens aller Gärten aus. Des Mittelpunkts dieser Welt.
    «Versailles.» Dazu macht sie ein fragendes Gesicht. «Sieur, jamais à Versailles?»
    Doch, er kennt sich dort aus. Nur zu gut. Er war einmal Page.
    «Versailles, das ist der Wahn unserer Zeit. Bis eine neue Erscheinung auftaucht und einen neuen Wahn entfesselt.» Sieur wischt eine Spinnwebe vor seinem Gesicht weg. «Le roi est loin. Le roi nous cite.»
    Er erklärt Demoiselle diesen Hof. «Der König schart die Adelsgeschlechter um sich. So behält er sie im Auge. Er spricht ihnen eine Pension zu, spioniert sie aus und erstickt den Anflug ihrer Rebellion in Festen, Komödien und Soireen. Es ist wahr, dass die angesehensten Geschlechter des Landes um seine Gunst wetteifern. Aber ist es denn wirklich solch eine Huld, ihm beim Essen im Bett zuschauen zu dürfen? Ihm nachschenken zu dürfen?»
    Warum sollte er, der Sieur von Montlau, Parlamentarier und Mitglied der Connetablie, aus freien Stücken zum Domestiken sinken? «Pour la gloire? La réputation? La patrie? Pour le bon souvenir de mes héritiers?»
    Der Sieur kann sich der Eidgenossin nicht verständlich machen. Sie kommt zurück auf ihr Versailles. Sie verwendet es wie ein Zauberwort zum Öffnen jeder Tür. Sie bietet gar die Vermittlung von ihrem Herrn Papa an.
    «Hof ist Hof. Und eine Ehre ist eine Ehre.»
    In der Bibliothek lässt sie sich auf einer Cassini-Karte den Weg von Montlau zum Sitz des Königs zeigen. Vier Tage benötigt die Post in vollem Galopp von Bordeaux nach Paris. Für Herrschaften, die ihren Schlosshügel nie verlassen, ist das eine Distanz zum Himmel. Man ist in der Dordogne weit von den Gebräuchen des Hofs entfernt.
    «Aber unsere hochverehrte Demoiselle kennt sich aus», entgegnet Madame. «Wir könnten unser Fräulein um Unterricht im Hofzeremoniell bitten. Es schadet ja nichts. Es heißt ja nicht, dass wir den König admirieren müssen und Sieur sich zu dessen itzigen Devoten schlagen muss.»
     
     
    Joannes treibe es vor Scham das Blut in den Kopf, wenn er an ihre Vermessenheit denke. Daran, wie sie sich im Ausland wohl jetzt aufführe, aufplustere wie das Federvieh, wie sie den Kerlen Augen macht. An die bodenlose Frechheit dieses einst so durchsichtigen Fädchens.
    «Er rauft sich das Haar», spotten die Waschfrauen. «Er verflucht sich jeden Tag, dass er die Kleine nicht eingesperrt hat. Macht sich ganz verrückt, weil er nicht mehr an ihrem Schürzenbändel ziehen kann. Vor Zorn treten seine Halsadern wie Stricke hervor, und er läuft rot an, wenn er daran denkt, dass ein anderer sich mit der Kleinen verlustiert. Der Bitzenin gibt’s der Herr im Schlaf. Sie bewegt sich in einem Kreis von Erlauchten, denen kein Bossert die Füße küssen darf.»
     
     
    Jeden Nachmittag übt das Himmelsgeschenk vom Gotthard mit der welschen Familie den kerzengeraden Gang. Den Knicks. Das Verlieren eines Spitzenfazolets im Blickfeld eines Verehrers. Und wie eine Dame beim Tanzen die Reize zur Geltung bringt. Sich behutsam auf die Kante eines gebrechlichen Stühlchens setzt und gespreizt redet, das schneeweiße Meißen vor dem Kinn.
    «Das ist Diplomatie», sagt die Schlossherrin zur erschrockenen Clémence. «O! es warten noch Wunder auf uns! Und nicht nur eine Familiengruft.»
    «Seltsam nur, dass Demoiselle

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