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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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Es befähigt den Kaiser, das Eindringen einer fremden Flotte so früh mit Salven zu beantworten, dass sie versenkt ist, ehe die Schiffsmannschaft begreift, wie ihr geschieht.
    «Die Redingin hat schon mit den Gesandten aller Höfe Europas Schach gespielt. Sie weiß zu taktieren und zu lavieren, Feinde zu separieren und von einem Zimmer ins andere zu dirigieren. Sie weiß, wann der Moment gekommen ist, sich geschlagen zu geben. Aber sie hat keine Ahnung von den Abenteuern, die auf einer langen Reise zu bestehen sind, da sie ja nur im Schutz ihrer Chaise herumfährt. Sie hat keinen Schimmer von den Unsicherheiten im Leben der Gewöhnlichen. Sie zupft die Glyzinienblüten aus ihrem Kleid und lauscht gebannt. Sie schaut den Chinareisenden an, die wippende Feder an seinem Hut, und den Himmel, der leuchtet wie ein Pergament, hinter das man eine Kerze hält.»
    Sebels Zuhörer sind überrascht. Die Redingin scheine immer so zugeknöpft.
    «Tür und Tor des Herrenhauses stehen dem Mannsbild offen.»
    Es schmeichle dem Chinareisenden, dass Patrizierfamilien ihn einladen. Doch er sei zurückhaltend. Er hat so zahlreiche Landschaften und Völker gesehen, dass ihn die Salons und Teezeremonien der Hiesigen nicht interessieren.
     
     
    «Ich verstehe sein Faible für die Ungewissheiten, die Rätsel und Geheimnisse», schreibt die Redingin an eine Vertraute. «Dieses Faible möchte ich teilen. Umso mehr, als hier alles so einfach und klar ist wie das Wasser einer Quelle.»
    Eigentlich besucht der Chinareisende nur die Redingin. Notiert nur, was deren Plappermund ihm anvertraut.
    Zu ihrem Verdruss hake er immer wieder bei der jungen Gestrichenen nach, von der die Herrentochter einmal überfallen worden ist. Als könne er jene Geschichte nicht oft genug hören. Lächelnd ballt er die Faust um das rotseidene Tuch und lässt es wieder auf der Handfläche erblühen.
    Die Redingin wiederholt. Und sie bekreuzigt sich. Sie sagt, sie danke Gott alle Tage des Lebens, dass sie dem Mädchen nicht Tür und Tor geöffnet habe. «Dieses hat durch die Gitterstäbe gespäht und Augen gemacht.»
    Dann strauchelt die Redingin und klebt mit dem Mund an seinem Ohr.
    Nach einer Stunde bringt sie ihn zum Tor. Sie schaut ihm nach, wie er federnd ins Dorf hinunterschreitet, während das Tor sich gierend schließt. Es fällt schon beinah ins Schloss, als sie ihr Gewicht dagegenstemmt und ihm hinterherruft: «Was hat Sie hergezogen? Wann sagen Sie, was Sie von mir wünschen?»
    Der Chinareisende bleibt stehen. Er schaut sich nicht um. Hebt nur die Augen zu den Bergspitzen. «Im Winter», antwortet er. «Wenn Frost sich auf die Gärten legt. Wenn der Hunger die Elenden zu den Kirchtreppen treibt. Dann klärt sich alles.»
    Nach diesen Worten schreitet er weiter.
     
     
    «Ach, diese Kleine!», seufzen die Wäscherinnen. «Sie hat nie viel gehabt. Immer nur auf die Schmutzwäsche von Joannes gestarrt. Jetzt ruhen ihre Augen auf Blumen.»
    Sie schauen auf von ihrer Lauge, strecken ihren Rücken durch und blinzeln zum Himmel, wo die Kleine ihren Stickschuh auf eine Wolke setzt. Dann trocknen sie mit der Schürze die Gesichter.
    Damals hat sie mit ihnen am Wasser gekauert. Sie erinnern sich, als wär’s gestern gewesen.
    «Ein herrlicher Abend war es, die untergehende Sonne leuchtete wie eine Kupfermünze. Unser Geplauder schwebte über dem See, unsere Stimmen waren wie in Filz gepackt – der Schall hat kein Wort verweht. Als sei ein jedes von Bedeutung und halte nun wartend inne, um ins Himmelsbuch eingetragen zu werden. Plötzlich hat Anna Maria in die Luft gegriffen. ‹Da!› Sie hat uns die Faust vors Gesicht gehalten. Wir haben ihre Finger geöffnet. Nichts! ‹Doch, da ist etwas! Eine Mücke Zeit›, hat sie erklärt… Sie hat den Augenblick gefangen. Ihre Faust schloss sich um eine Mücke Zeit. Wir gaben zur Antwort, dass uns alle Zähne ausgefallen sein werden, ehe wir fünf Freuden aus der Luft klatschen können. Doch Anna Maria hat ihre geballte Faust zum Himmel gehoben und geschworen, sie werde nicht sterben, bevor sie zehn Mücken Zeit gefangen habe. ‹Mindestens›, fügte sie bei. ‹Zehn und keine weniger.›»
     
     
    In Moulon spricht man davon, dass in der Seigneurie eine Hoheit eingetroffen ist. Eine so wichtige Dame, dass die Weinbauern die Mütze vom Kopf reißen, wenn sie vorübergeht. Sie hat, als Vagantin verkleidet, eine lange und gefahrvolle Reise überstanden. Nur ein paar Kratzer hat sie gehabt. Sie kommt aus einem Land, das

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