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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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sein Raubvogelgesicht macht.
    «Seine Tauben pfeifen das Cayer in jeder Tonart vom Dach», sagt Madame.
    Schreiend beginnt der Sieur von vorn.
    «Frankreich ist bedeckt von Zollbüros, Kommissariaten, Beamten, Aufsehern, Milizen zum Durchsetzen der Verordnungen. Sie belegen uns mit Millionen von Gesetzen und Erlassen, die nur sie selber kennen. Die Schuldigen verirren sich in diesem Labyrinth zusammen mit den Unschuldigen. Der Verwaltungsmissbrauch der Justiz, die diese irreführenden Gesetze nach eigenem Gutdünken auslegt, verursacht hohe Kosten. Die Provinz ist übersät mit Rechtsvertretern, die danach trachten, Prozesse eher zu säen als zu beenden. Der Angeklagte ist den Launen und Anschauungen eines Richters ausgeliefert, der nicht an den guten Willen eines Menschen glaubt, sondern ihn undurchsichtigen Gesetzen unterstellt. Es gibt eine Vielzahl von gewöhnlichen und außergewöhnlichen Gerichten, so dass niemand weiß, an welche Stelle er sich zu wenden hat. Den Tiers sind eine Unmenge von Lasten auferlegt, damit die Kirchenfürsten in großem Reichtum leben können. Die Geistlichen, die unsere Tröster und Hirten unserer Seelen sein sollten, verschmelzen mit der Klasse jener, die das Volk aussaugen. Die Last der Abgaben für die Noblen, die Geistlichen und andere Privilegierte erdrückt den Stand, der eigentlich der nützlichste, aber auch der unglücklichste ist. Man beraubt die Tiers ihrer Rechte, indem man ihnen den Zugang zu juristischen und militärischen Laufbahnen oder sonstigen ehrenvollen Ämtern verwehrt, obschon man sich in Zeiten der Gefahr gern mit den Tiers umgibt. Die Geringschätzung der Tiers und ihr demütigender Ausschluss ersticken deren Loyalität und jedes Gefühl der Zugehörigkeit.»
    Sieur von Montlau windet jedem Missstand einen Kranz aus Worten und Gesten. Sie sind die Blumen seines neuen Gartens, die er wässert und pflegt.
    Seine Eidgenossin lauscht dem Fluss der Sprache, der dahingleitet, gurgelt, wirbelt, strudelt und über Felsbrocken schießt. Das ist der Gesang der Muota auf dem Weg zum Meer.
     
     
    Für ein paar Wochen steht Anna Maria nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihr ist es einerlei. Sie bekommt nie genug vom Garten. Stundenlang kann sie mit ihrem Büchlein im lauen Gefächel des Fliederbusches sitzen und Etüden treiben.
    «Wenn jemand mich nach einem Wunsch fragte, würde ich antworten: ‹Danke, ich habe alles. Fast alles. Was mir fehlt, das kann mir nicht einmal der Kaiser von China geben. Einen längst vergangenen Abend. Ein totes Schlachtross. Und einen Rücken, mich dran zu wärmen.›»
    Sie singt. Eine traurige, monotone Melodie. Die Töne verlieren sich in den rauchigen Weinfeldern des Bordeaux.
    «Bin ich in die falsche Richtung marschiert?»
    China ist fern. Aber die Damen in Seide sind nah. Sie schwirren an solchen endlosen Nachmittagen heran, tuscheln und kichern und kringeln die Locken von Magnus mit ihren Fingern.
    Sie schleudert einen Stein in den Brunnen. Dann wartet sie, bis die Wasserringe zur Ruhe kommen. Auf der glatten Oberfläche sucht sie das Zeichen für ANNA MARIA.
     
     
    Babette sagt, es klinge eigenartig, wenn Demoiselle französisch spricht. Bei aller Anstrengung könne Babette kein Wort verstehen. Ihr erscheine die Dame aus Schwyz trauriger als sonst. «Ob sie Heimweh hat?»
    «Sie hat Launen», antwortet Clémence.
    «Man reicht ihr ein Billet, das für sie abgegeben wurde. Sie rauscht achtlos vorbei. Man bittet sie in den Salon, wo jemand ihr die Honneurs machen will. Sie eilt fort, wortlos, eine Hand zur Abwehr in der Luft. Man richtet das Wort an sie. Doch sie stiert in eine Ecke. Man serviert ihr heiße Schokolade. Das trinkt sie. Wie sie immer alles vom Serviertablett nimmt. In ihrem Teller lässt sie niemals etwas übrig.»
    Das sei seltsam. Oder nicht? Schnappt sich das Essbare wie ein ewig hungriges Kind.
    Clémence fragt Madame nach ihrer Meinung, aber Madame hört gar nicht hin. Sie hat zu viel zu tun. Sie klagt, dass tausend Dinge zu erledigen sind, ehe sie nach Versailles fahre. Es sei so viel nachzuholen. So viel in Erfahrung zu bringen. Damit man sich dort keine Blöße gibt. «Dort residiert die Crème de la crème. In Gold und Weiß. Mit Musik, Komödien und Tanz. Und hier ist tiefste Provinz.»
    Sie lässt einen Maler rufen. Er fertigt ein Porträt von ihr an. Dann will sie partout auch von ihrem Mann ein Porträt anfertigen lassen. Doch der weigert sich. Er will auch den Zustand des Châteaus nicht

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