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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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nicht sticken kann», meint in der Küche Babette. «Oder, wie sie zugibt, zumindest nicht die französischen Muster. Die aus der Heimat wolle sie nicht mehr sticken, die wolle sie vergessen. Die machten sie unendlich traurig. Und dann ihre Hände, vraiment, so rau, gequetscht und zerschunden, wie die Hände unseres Stallknechts. Vor der Herrschaft zieht sie nie die Handschuhe aus. Und weil sie keine Arbeit verrichtet und immer nur ein Buch ans Herz drückt, werden ihre Handschuhe auch nicht schmutzig.»
    «Seltsam, dass sie nie Briefe erhält», erwidert Clemence und ordnet seufzend ihre Schlüssel. «La pauvre petite!»
     
     
    Sieur von Montlau glaubt an Dankbarkeit und an Schuldigkeit. Und an die Regeln des Handels. An Aufwand, Ertrag und Gewinn. Zins und Zinseszins. Ordnung und Recht. Er schwört darauf, dass auch die Eidgenossen diese Regeln kennen.
    «Certainement!» Er macht sein Raubvogelgesicht und wandert mit im Rücken verschränkten Händen auf und ab. Reding wird ihn überschütten wollen vor Dankbarkeit. «Eh bien! Paff!»
    Im Château erwartet man jeden Tag eine Depesche aus Schwyz. Oder einen Geldkurier. Oder einen Offizier der Reding’schen Armee.
    Die Tochter hat ihm doch wohl geschrieben?
    «Mais oui, Sieur!» Sie hat ihm alles signalisiert. «Er wird schon seine Chaise über die schlechten Straßen jagen. Bon Dieu!»
    Sie schwänzelt dem Garten zu, das Gesicht strahlend wie ein Föhntag.
     
     
    «Was die Bitzenin jetzt wohl tut?», fragen sich die Wäscherinnen.
    «Zeitmücken sammeln.»
    «Wenn das bloß so einfach wäre.»
    «Ihr wachsen Flügel. Ihr Jubel schwingt sich zum Himmel hinauf.»
    «Wer kann das wissen? Sie ist ein sonderbares Mädchen. Unzugänglich. Am liebsten allein mit sich. Sie braucht Zeit, bis sie vertraut.»
    Nach Meinung der Wäscherinnen hat sie sich noch nie jemandem anvertraut. Sie hat immer nur Geschichten erzählt, Rollen gespielt. Einmal war sie jene, einmal eine andere. Sie duldet vielleicht ein Dutzend Leute, mit denen sie von einem Versteck zum anderen zieht. Aber es gibt höchstens eine Handvoll Frauen, mit denen sie über Waschbottiche tanzt und sich dazu auf die Gesäßbacken klatscht.
    «Möglicherweise hat ja Gott, unser Schöpfer, den Einzigen erschaffen, mit dem die Bitzenin nicht nur eine Nacht auf dem Schenkel eines toten Rosses verbringen kann, sondern ihr ganzes Leben.»
     
     
    Es gibt viele Gärten. Sie besucht die Schlösser in der Umgebung. Hocherfreut zeigt man Demoiselle die Anlage. Alle Gärten sind auf ihre Weise schön, alle locken zum Verweilen.
    Der Sommer vergeht. Von Reding noch immer keine Antwort.
    «Was erwarten wir? Dass ihr Vater die Hand nach der verlorenen Tochter ausstreckt?»
    «Er kommt», tröstet das gnädige Fräulein. «Die nächste oder übernächste Woche. Zur Beerenlese, da kommt Papa bestimmt.»
    Die Bitzenin wässert den Garten. Ihren Garten. Darüber spannt sich ein makelloses Blau, dieses Azur, wie sie es im Welschen nennen. Und die grelle Tönung der Abende. Diese milde Nachtluft, die an zehn Fenstern die Tüllgardinen bewegt. Dazu die wachsende Begeisterung des Sieurs für den Besuch in Versailles.
    Die simple Frage einer simplen Frau habe etwas wie ein vaterländisches Gefühl in ihm geweckt, erzählt er herum.
    Schon am nächsten Tag hat er eine Réunion mit anderen freien Denkern gegründet. Männer des Schwertes, der Robe und der Feder treffen sich auf Montlau. Es wird beschlossen, dem König die Missstände zu unterbreiten und Verbesserungen vorzuschlagen. Zu diesem Zweck werden Gespräche nach allen Seiten geführt, mit den Clergés, die dem ersten Stand angehören, mit den einfachen Tiers aus Moulon und mit den Noblen von Geblüt aus der Umgebung, als Vertreter des zweiten Stands. Der Sieur von Montlau wird auserwählt, dem König ein Cayer zu überbringen. Sie stellen es bei ihren Réunions im Château Punkt für Punkt zusammen. Ruhelos und gestikulierend wandert der Sieur von der Turmspitze zum Keller, vom Ostflügel zum Westflügel und trägt mit lauter Stimme alle Missstände vor, die er zu Füßen des Throns in den weißgoldenen Saal donnern will. Die Frau und die Kinder kennen jedes einzelne der Malheurs. Clémence und Babette, der Stallknecht, die Winzer und Favory kennen sie, samt Absatz und Atempausen und den Armschwüngen und Paffs, mit denen er alle Missstände begleitet. Sie kennen die Stellen, an denen der Sieur seine Oberlippe spitzt, weit die Augen öffnet, ruckhaft den Kopf vorschiebt und

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