Die falsche Tochter - Roman
gehen, und Elliot durfte nichts wegräumen.
Solange ich ihr Grab nicht sah, solange ich in ihrem Kinderzimmer war, war sie nicht tot.«
»Ich hatte Angst um deine Mutter. Damals hatte ich wirklich Angst um sie«, gestand Elliot. »Und es erschreckte mich zutiefst, als ich entdeckte, dass sie zusätzlich zu den Mitteln, die ich ihr verschrieben hatte, noch stärkere Medikamente einnahm. Ich fühlte mich völlig hilflos, kam nicht an sie heran. Und die Probleme ließen sich nicht einfach dadurch lösen, dass wir die Medikamente absetzten. Eines Tages sprach ich mit Vivians Gynäkologen, und er war es auch, der eine Adoption vorschlug.«
»Ich wollte zunächst nichts davon wissen«, warf Vivian ein. »Aber Elliot zwang mich, ihm zuzuhören. Es war eine Art Schockbehandlung, könnte man sagen. Er sagte, es müsse mir klar sein, dass ich nie mehr schwanger werden würde. Er liebte mich, und wir könnten uns auf ein Leben zu zweit einrichten, nur wir beide. Wenn wir jedoch ein Kind wollten, würden wir auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen müssen. Wir waren jung, wohlhabend, gebildete und liebevolle Menschen, die einem Kind ein sicheres Heim bieten konnten. ›Willst du ein Kind, oder willst du nur schwanger sein?‹, fragte er mich und sagte, dass wir ein Kind bekommen könnten, wenn ich wirklich eines wolle. Also entschied ich mich für die Adoption.«
»Wir gingen zu mehreren Agenturen«, fuhr Elliot fort. »Doch überall gab es Wartelisten, und je öfter wir das hörten, desto schwerer war es für Vivian.«
»Es wurde zu einer neuen Obsession.« Vivian seufzte. »Ich strich die Wände des Kinderzimmers in einer anderen Farbe, verschenkte die Wiege und kaufte eine neue. Ich gab alles weg, was wir für Alice gekauft hatten, damit dieses neue Kind nur eigene Sachen hätte, wenn es zu uns käme. Ich hatte fast das Gefühl, wieder schwanger zu sein. Irgendwo da draußen gab es ein Kind, das mir gehörte, und wir warteten nur noch darauf, einander zu finden.«
»Vivian strahlte wieder vor Hoffnung. Und weil ich den Gedanken
nicht ertragen konnte, dass dieses Strahlen eines Tages wieder der Trauer weichen könnte, sprach ich noch einmal mit Simpson, ihrem Gynäkologen, und erzählte ihm, wie frustrierend und schmerzlich es für uns beide war, dass es mit der Adoption möglicherweise noch Jahre dauern konnte. Und schließlich nannte er mir den Namen eines Anwalts, der private Adoptionen vermittelte.«
»Marcus Carlyle«, warf Callie ein, die sich an den Namen aus den Unterlagen erinnerte.
»Ja.« Vivian hatte sich wieder gefangen. Sie trank einen Schluck Kaffee und erzählte weiter: »Er war wundervoll, so mitfühlend und verständnisvoll. Und er gab mir viel mehr Hoffnung als die Agenturen. Sein Honorar war zwar sehr hoch, aber wir konnten es uns leisten. Er sagte, er habe eine Klientin, die ihre neugeborene Tochter nicht behalten könne. Es sei noch ein junges Mädchen, das mit seinem Leben als allein erziehende Mutter nicht zurechtkäme. Carlyle wollte ihr von uns berichten und ihr sagen, was wir für Menschen seien und wie viel Geld wir hätten. Und wenn sie einverstanden sei, könnten wir ihr Kind bekommen.«
»Warum gerade ihr?«
»Er erklärte, wir seien genau die Menschen, die das junge Mädchen für ihr Baby suche. Emotional stabil, finanziell abgesichert, gebildet und kinderlos. Sie wolle lieber die Schule beenden, aufs College gehen und ein neues Leben beginnen. In der Zeit, in der sie versucht hatte, ihr Kind allein großzuziehen, habe sie Schulden gemacht, die sie jetzt abbezahlen müsse. Und sie wolle, dass es ihrem kleinen Mädchen so gut wie möglich ginge, bei Eltern, die es liebten.« Vivian zuckte die Schultern. »Innerhalb einer Woche wollte er uns Bescheid geben.«
»Wir versuchten, uns nicht allzu viel Hoffnung zu machen«, sagte Elliot, »aber uns kam es so vor, als habe das Schicksal es gewollt, dass wir dieses Baby bekommen.«
»Acht Tage später rief Carlyle an. Es war halb fünf nachmittags, ich weiß es noch genau.« Vivian stellte ihre Kaffeetasse
ab. »Ich hatte gerade Vivaldi auf der Geige gespielt und mich ganz auf die Musik konzentriert, als das Telefon läutete. Ich wusste, dass es der Anwalt war. Es ist mir klar, dass das albern klingt, aber ich wusste es einfach. Und als ich den Hörer abnahm, sagte er: ›Herzlichen Glückwunsch, Mrs Dunbrook. Es ist ein Mädchen.‹ Ich brach schluchzend zusammen. Er war unendlich geduldig und freute sich aufrichtig mit mir. Er sagte,
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