Die falsche Tochter - Roman
den Müllsack, den er von seinem Auto mitgeschleppt hatte. Den Wagen hatte er eine Viertelmeile
entfernt abgestellt. Er würde es Graystone schon zeigen, und diesem Luder von Dunbrook auch … Wie sie auf seiner Baustelle aufgetaucht war und ihn vor seinen Männern unmöglich gemacht hatte! Und wegen ihr musste er sich auch noch mit den Fragen des Bezirkssheriffs herumschlagen. Aber das würde er ihnen nicht durchgehen lassen, oh nein. Wenn Callie Dunbrook ihn unbedingt wegen Vandalismus anzeigen wollte, dann konnte sie das haben. Er würde diesen verdammten Wissenschaftlern schon zeigen, wo der Hase lief. Die Leute würden sich über sie kaputtlachen, und er konnte sich endlich wieder an die Arbeit machen.
Außerdem musste er seine Männer bezahlen, und diese Männer hatten Familien, die darauf angewiesen waren, dass sie ihnen was zu essen nach Hause brachten. Das alles tue ich schließlich für meine Gemeinde, dachte Dolan selbstgerecht, während er langsam aus dem Schatten der Bäume schlich.
Auf der anderen Seite des Feldes konnte er die Silhouette des Wohnwagens erkennen, in dem einer von diesen Typen hauste. Das Licht war aus; wahrscheinlich hatte er sich mit Pot zugedröhnt und schlief jetzt wie ein Baby.
»Gott sei Dank!«, murmelte Dolan und leuchtete mit seiner Taschenlampe über die Erdhügel, die überall auf dem Gelände aufragten. Leise schlich er zu einer der Gruben, blickte erneut auf den Wohnwagen und dann auf das Waldstück, weil er meinte, ein Rascheln gehört zu haben.
Als eine Eule schrie, ließ er vor Schreck den Plastiksack fallen. Dann lachte er leise auf. Ein Kerl wie er ließ sich im Dunkeln erschrecken! Er war doch schon als Junge im Dunkeln durch den Wald gelaufen. Mit einem letzten misstrauischen Blick auf die Bäume in seinem Rücken hob er den Sack wieder auf. Seine Hand zitterte, als er hineingriff und sich seine Finger um einen kühlen, feuchten Knochen schlossen.
Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, in das Erdloch hinabzusteigen, doch dann entschied er sich dagegen. Die Grube erinnerte ihn zu sehr an ein Grab. Was waren diese Wissenschaftler nur für Menschen, dass sie ihr Leben in den
Gräbern anderer Leute verbrachten? Er würde sich eine der Schaufeln nehmen. Ja, genau, er würde sich eine Schaufel nehmen und die Knochen neben den Erdhügeln vergraben. Das war doch genauso gut.
Wieder hörte er Geräusche – ein Platschen im Wasser, ein Rascheln im Gebüsch. Er drehte sich um und richtete den dünnen Strahl seiner Taschenlampe auf die Bäume und den Teich, in dem ein kleiner Junge namens Simon ertrunken war, noch bevor Dolan geboren worden war.
»Wer ist da?«, rief er leise. Seine Stimme zitterte ein wenig. »Sie haben nicht das Recht, hier nachts herumzuschleichen. Das ist mein Land. Ich habe ein Gewehr.«
Auf der Suche nach einer Schaufel lief Dolan zu einer der Abdeckplanen und blieb dabei mit dem Fuß in einem der Absperrungsseile hängen. Er schlug hart auf den Boden auf, wodurch ihm die Taschenlampe aus der Hand fiel. Fluchend rappelte er sich auf. Er benahm sich albern, natürlich war um ein Uhr in der Nacht niemand auf dem Gelände.
Doch plötzlich sah er einen Schatten über sich, und es blieb ihm nicht einmal mehr die Zeit zu schreien. Er verspürte einen dumpfen Schmerz am Kopf, dann versank alles in Dunkelheit.
TEIL II
Die Ausgrabung
Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?
LUKAS, 24,5
11
Digger war klatschnass und sog gierig an der Marlboro, die er bei einem der Hilfssheriffs geschnorrt hatte. Eigentlich rauchte er seit mittlerweile zwei Jahren, drei Monaten und vierundzwanzig Tagen nicht mehr, aber dass er eine Leiche gefunden hatte, als er in der Morgendämmerung nur rasch seine Blase erleichtern wollte, erschien ihm als perfekter Grund, wieder damit anzufangen.
»Ich bin einfach reingesprungen. Hab nicht groß nachgedacht, bin einfach gesprungen. Und ich hatte ihn schon halb am Ufer, als ich sah, dass sein Schädel eingeschlagen war. Da machte Mund-zu-Mund-Beatmung dann auch keinen Sinn mehr.«
»Du hast getan, was du konntest.« Callie legte Digger den Arm um die mageren Schultern. »Du solltest dir was Trockenes anziehen.«
»Sie haben gesagt, dass sie noch mal mit mir reden müssen.« Seine Haare hingen in wirren, nassen Strähnen um sein Gesicht. Die Hand, mit der er die Zigarette hielt, zitterte. »Ich habe noch nie gern mit Bullen geredet.«
»Wer tut das schon gern?«
»Sie durchsuchen gerade meinen Wohnwagen.«
Callie
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