Die falsche Tochter - Roman
hatte es Spitze.« Er fuhr sich mit der Hand über den Brustkorb. »Mom hatte dir das Mützchen ausgezogen, damit deine Haare nicht so platt anlagen. Du hattest nur ganz wenige, weiche Haare. Eigentlich warst du fast kahl.«
Während Doug sprach, spürte Callie sich dem kleinen Jungen, der er damals gewesen war, auf merkwürdige Art nahe. Sie lächelte und zupfte an ihren dicken Haaren. »Das hat sich geändert.«
»Ja.« Zaghaft erwiderte er ihr Lächeln. »Ich dachte die ganze Zeit nur daran, dass ich bald beim Nikolaus auf dem Schoß sitzen würde. Ich musste dringend aufs Klo, wollte jedoch um nichts in der Welt aus der Schlange ausscheren. Aber
je näher wir ihm kamen, desto bedrohlicher wurde alles. Überall tanzten diese riesigen Elfen herum.«
»Man fragt sich wirklich, warum die meisten Leute nicht kapieren, dass Elfen kleinen Kindern Angst einjagen können.«
»Dann war ich an der Reihe, und Mom sagte mir, ich solle mich beim Nikolaus auf den Schoß setzen. Ihre Augen waren ganz nass, und ich dachte, irgendetwas sei nicht in Ordnung, dabei war sie wohl nur gerührt. Als mich der Nikolaus dann hochhob und sein polterndes ›Ho, Ho, Ho!‹ von sich gab, drehte ich durch. Er war so riesig! Ich begann zu schreien, riss mich von ihm los und fiel zu Boden, direkt aufs Gesicht. Meine Nase blutete. Mom hob mich hoch, hielt mich fest und wiegte mich in ihren Armen. Da wusste ich, dass alles gut war. Mom war bei mir, und sie würde nicht zulassen, dass mir irgendetwas Schlimmes passierte. Und dann begann sie zu schreien, und du warst fort.«
Doug setzte die Bierflasche an und trank. »Danach erinnere ich mich an gar nichts mehr«, fuhr er nach einer Weile fort. »Es ist alles nur noch ein einziges Durcheinander. Aber diese eine Erinnerung sehe ich so klar und deutlich vor mir, als sei es gestern gewesen.«
Callie versuchte sich vorzustellen, wie sich der dreijährige Doug damals gefühlt haben musste – außer sich vor Angst, traumatisiert und offenbar von Schuldgefühlen überwältigt.
»Und, hast du immer noch Angst vor dicken Männern in roten Anzügen?«, fragte sie, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Doug lachte kurz auf und seine Schultern entspannten sich. »Oh ja.«
Es war schon nach Mitternacht, als Dolan durch die Bäume schlich und auf das Gelände blickte, dass er bebauen wollte. Das Antietam-Creek-Projekt, sein Vermächtnis an Woodsboro. Gute, solide Häuser zu erschwinglichen Preisen. Häuser für junge Familien, die auf dem Land leben wollten, ohne auf
modernen Komfort zu verzichten. Eine fantastisch ruhige Lage, aber nur fünfzehn Minuten von der Autobahn entfernt.
Dolan hatte viel Geld für das Land bezahlt. So viel jedenfalls, dass die Zinsen für das Darlehen ihn einen Jahresgewinn kosten würden, wenn er nicht endlich mit den Erschließungsarbeiten fortfahren konnte. Die ersten Käufer, die bereits bezahlt hatten, würden abspringen, wenn sich die Arbeiten noch länger als die vereinbarten sechzig Tage hinziehen würden, und dann würde er ihnen die Kaufsumme zurückerstatten müssen.
Es war einfach nicht richtig, dass Leute, die nichts in dieser Gegend zu suchen hatten, ihm vorschreiben wollten, was mit seinem Land geschehen sollte. Dabei hatten ihn die verdammten Naturschützer bereits mehr Zeit und Geld gekostet, als sich ein normaler Mann leisten konnte. Aber er hatte sich der Diskussion gestellt, hatte Anwälte bezahlt, auf Gemeindeversammlungen gesprochen, Interviews gegeben. Bisher hatte er sich an die Spielregeln gehalten, doch jetzt war es an der Zeit, dass er andere Saiten aufzog.
Dolan war sich absolut sicher, dass die Naturschützer mit Hilfe von Lana Campbell das Ganze nur angezettelt hatten, damit er das Land mit Verlust verkaufte. Diese Hippie-Wissenschaftler spielten doch nur herum und machten viel Wind um einen Haufen blöder alter Knochen. Dabei konnte kein Mensch von irgendwelchen Knochenfunden leben. Menschen brauchten Häuser, und er, Dolan, würde sie ihnen bauen.
Die Idee war ihm gekommen, als dieser geschniegelte Graystone in seinem Büro aufgekreuzt war und versucht hatte, Druck auf ihn auszuüben. Große wissenschaftliche und historische Bedeutung – du liebe Güte! Was wohl die Presse dazu sagen würde, wenn sie erfuhr, dass es sich bei den Funden hauptsächlich um Tierknochen handelte, Überreste von Wild, Schweinen und Rindern. Davon hatte Dolan immer einen ordentlichen Vorrat in der Tiefkühltruhe für seine Hunde.
Zufrieden blickte er auf
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