Die Falsche Tote
Befragung nur vierzig Minuten gedauert. Stavros Jernberg wäre nie an das Beweismaterial gelangt, das Josefin Rosenfeldt in Yxlö gut versteckt hatte. Doch damit beschäftigte sich Ulrikas Gruppe.
Josefin sprach wirr und konnte sich nicht an Zeitpunkte oder andere Daten erinnern. Kjell erfuhr jedoch, was ihn eigentlich interessierte, wie es zu diesem Verhängnis gekommen war.
Nach seiner Karriere im deutschen Bankwesen war David Schumann bereits vor über einem Jahr nach Schweden gekommen. Er musste irgendwo in Stockholm ein eigenes Apartment haben. Josefin wusste nicht, wo es lag. Die Wohnung in Skarpnäck hatte er erst nach dem Tod seines Großvaters genutzt, als es für ihn gefährlich wurde. David hatte sich mit einer Reihe von Jobs über Wasser gehalten, von denen Josefin die beiden wesentlichen kannte. Neben seiner Anstellung als Techniker bei der Radaranlage musste er für die Gunnar-Gruppe immer wieder kriminelle Dienste am Computer erledigt haben. Anscheinend hatte er auf der obersten Ebene direkt für Gunnar gearbeitet, denn David hatte an irgendeinem Tag in diesem Frühling Klara Jernberg getroffen.
»Er hat erst gar nicht gemerkt, dass sie autistisch war. Er muss sie bei irgendeiner Gelegenheit in Stavros’ Haus kennengelernt haben. Sie ist erst vor Kurzem nach Schweden gekommen, weil ihre Eltern gestorben sind. Eigentlich hat sie in einem Pflegeprojekt außerhalb der Stadt gewohnt, weil die Stadt für Menschen wie sie eine einzige Belastung ist. Ihren Bruder besuchte sie wohl nur ab und zu. Sie war das Einzige, was er geliebt hat. Seine Liebe muss groß gewesen sein, hat David gesagt, weil er sehr auf seine Schwester aufgepasst hat und oft bei ihr war. David hat dann mit den Briefen angefangen, so haben sie sich einander genähert.«
Als Kjell sie auf die Schriftart ansprach, wusste sie zuerst nicht, worüber er da redete, bis ihr einfiel, dass Klara in ihrer Wahrnehmung sehr auf solch formelle Dinge und Strukturen ausgerichtet war. Er hatte einmal beobachtet, wie Klara große Buchstaben einer Zeitungsüberschrift mit dem Finger nachfuhr. Deshalb hatte er die Schrift benutzt, und soweit Josefin es wusste, hatte Klara diese Zusammenhänge sogleich verstanden.
Kjell konnte sich noch nicht vorstellen, wie die Beziehung zwischen den beiden ausgesehen hatte. Hier wusste Josefin genau Bescheid. Im Versteck hatten die beiden genug Zeit gehabt, darüber zu reden.
»Es ist ihm nie geglückt zu erfahren, was sie für ihn empfand, so wie man das bei einem normalen Partner weiß. Er konnte es nur indirekt aus ihrem Verhalten ableiten. Zwischendurch hatte er Angst, sie könnte einfach nur auf ihn fixiert sein, so wie sie auf gewisse Gegenstände fixiert war. Später war es ihm egal. Und dann haben sie alles gemacht, was man unbekleidet tun kann, wirklich alles. David war ganz oft dort, wo sie gelebt hat. Und Stavros hat nichts gemerkt.«
Doch es war Josefin gewesen, von der alles ausgegangen war. An jenem Tag im Frühling, als die Zeitungen zum ersten Mal berichteten, dass der Justizkanzler die Ermittlungsakten zum Estonia -Fall angefordert habe, klingelte spät am Abend in der Privatwohnung Rosenfeldts am Norr Mälarstrand das Telefon. Josefin hatte abgehoben, und eine junge Männerstimme hatte grußlos behauptet, dass eine verbrecherische Organisation mit dem Namen Gunnar in die Sache verwickelt sei. Gunnar sei der Polizei auch gut bekannt. Der Anrufer wollte Beweise beschaffen, dass weite Teile der Polizei mit Gunnar kooperierten.
Anrufe und Briefe dieser Art erreichten den Justizkanzler dauernd. An Tagen, wo er mit einer besonderen Sache an die Öffentlichkeit trat, war die Flut sogar kaum zu bewältigen. Josefin schrieb wie immer eine Notiz zu diesem Anruf und gab sie in die Registratur der Kanzlei, denn der Justizkanzler bearbeitete grundsätzlich jede Anfrage und jeden Hinweis. Doch der Anrufer hatte weder seinen Namen genannt noch irgendetwas geliefert, was die Behauptungen untermauerte. So war die Notiz wohl im Verschwörungstheoretikerkarton im Keller gelandet.
Anderthalb Wochen später erhielt Josefin einen Brief, der an ihre eigene Wohnung in der Sigtunagatan adressiert war. Er enthielt den Hinweis, dass Gunnar mit bürgerlichem Namen Stavros Jernberg heiße. Darauf folgte die Information, dass Gunnar den gesamten Frauenhandel nach Ostskandinavien steuere.
Der Brief brachte Josefin zum Nachdenken. Dem Inhalt nach musste er von derselben Person stammen, die auch angerufen hatte. Der Absender
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