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Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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kannten.
    Kjell schlich zu Lindas Zimmer und drückte mit der Ecke des Frühstückstabletts die Türklinke hinunter. Nicht nur Linda fehlte, auch ihre Matratze war verschwunden. Er machte kehrt und ging ins Wohnzimmer. Sie schlief wieder auf dem Balkon. Manchmal hörte er sie in der Nacht fluchen und stöhnen, wenn sie die Matratze hinter sich her in ihr Zimmer schleifte. Dann wusste er, dass es draußen zu regnen begonnen hatte.
    Linda hatte sich die Decke über den Kopf gezogen. Wenn man im Freien schläft, bringt einem das Morgengrauen auch Kälte, selbst wenn die Temperatur in Wirklichkeit gar nicht abfällt. Er ließ sich auf dem Rand der Matratze nieder, stellte das Tablett auf dem Boden ab und zog an der Decke, bis ihr Gesicht erschien. Sie war wohl schon wach gewesen, jedenfalls waren ihre Augen geöffnet.
    »Du siehst aus wie ein Eskimofindelkind«, behauptete er. Oder ein Inuit-Findelkind, wenn man nichts falsch machen wollte. Die Decke verbarg ihren Mund. Er konnte nicht sehen, ob sie lächelte. Ihre Augen wirkten ernst oder ängstlich.
    Er strich ihr durchs Haar, das hatte sie gern.
    »Bist du bereit? Freust du dich?«
    Sie reagierte nicht.
    »Hier«, flüsterte er und zog das Tablett etwas heran.
    Linda richtete sich auf. Er reichte ihr eine Tasse, und sie nippte sogleich daran. Er hielt ihr den Teller mit ihrem Frühstück hin, aber sie schüttelte den Kopf und schloss angewidert die Augen. Er ließ seine Hand auf die Decke fallen, wo er etwas Hartes spürte. Das konnte ihr Knie sein. Er rüttelte tröstend daran. Linda seufzte noch einmal.
    »Das ist normal«, behauptete er. »Dass einem mulmig wird. Kurz davor.«
    »Wie spät ist es denn?«
    »Kurz nach sechs. Ich wollte dich unbedingt wecken, damit wir noch zusammen frühstücken können. Bist du früh genug ins Bett gegangen?«
    »Ja.«
    Er hätte ihr jetzt gut zureden können, aber das mochte Linda nicht. Sie ließ sich in ihren Empfindungen nicht gerne stören und wollte immer alles auskosten, auch die schlimmen Tage.
     
    Im Büro wurde er von Dunkelheit und Stille überrascht. Er war pünktlich und hatte erwartet, dass Sofi hinter ihrem Schreibtisch lauerte. Wie immer fürchtete er den zweiten Ermittlungstag, weil man von da an große Entscheidungen treffen und den Lauf der Dinge selbst gestalten musste. Das war in den ersten Stunden nicht so, da reagierte man nur. Deswegen war es falsch, den ersten Tag immer herauszuziehen und so lange zu überlegen, bis man vor Müdigkeit umkippte. Auf diese Art brachte man meist nur Unsinn hervor und verpasste den zweiten Tag.
    Die Tür zum Archiv war angelehnt. Er drückte mit den Fingerspitzen dagegen. Sofi hatte die Fenster mit Wolldecken verhängt. Und schlief. Das war für sie sehr ungewöhnlich, genauer gesagt war es noch nie vorgekommen. Eigentlich hätte sie längst das Morgendossier anfertigen müssen. Kjell nahm die Decken von den Fenstern, die nach Osten zeigten. Das Sonnenlicht breitete sich auf Sofi aus. Er rüttelte sie am Arm und dann noch einmal heftiger. Sie hob den Kopf und sah ihn mit schweren Lidern an. Als sie verstand, saß sie auch schon aufrecht. Er beruhigte sie, sie brauche nicht in Panik verfallen, es sei noch genug Zeit. Sofi machte sich auf den Weg. Er wusste nicht genau wohin, aber von draußen hörte er ein Scheppern. Sie musste gegen irgendwas gestoßen sein.
    Kjell ging in den Besprechungsraum und setzte Kaffee auf. Barbro und Henning trafen nur wenige Minuten später ein. Barbro prüfte zuerst die Nachrichten. Der Justizkanzler wurde in Kürze erwartet. Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit in Josefins Wohnung und in der ihres Bruders beendet. Auch dort hatte man keine Spuren eines Eindringens gefunden. Nur die Wohnungstür hatte offen gestanden.
    »Es muss ein sehr altes Haus sein, in dem Oskar da wohnt«, bemerkte Barbro, während sie las. »Unsaniertes Södermalm 1889. Die Wohnung soll so unordentlich gewesen sein, dass die Verwüstung durch den Einbruch sich nahtlos in die Wohnkultur von Oskar einfügten. Der Täter hätte aufräumen müssen, um Spuren zu hinterlassen.«
    »Mit anderen Worten?«
    »Oskar müsste sich die Räume selbst ansehen. Nur er weiß, ob inzwischen jemand dort gewesen ist. Die Unordnung scheint organisch gewachsen zu sein, behaupten die Techniker.«
    »All diese Unklarheiten«, stöhnte Kjell. »Ich mag keine einzige davon.«
    Sofi kam herein. Sie hatte sechs Minuten gebraucht. Auf der Herfahrt hatte Kjell sich überlegt, wie es weitergehen sollte.

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