Die Falsche Tote
Diese Frage hätte ihr auch einfallen können. Dabei fragte sie sich schon die ganze Zeit, ob die Tote und Josefin sich gekannt hatten. Anscheinend nicht.
»Kannst du uns nicht der Reihe nach erzählen?«, fragte sie. »Wie bist du überhaupt zu dieser Wohnung gekommen?«
Sesselja hatte sich aus Reykjavík an die Stockholmer Wohnungsvermittlung gewandt und es für einen Scherz gehalten, was man ihr dort erklärt hatte. Um eine Wohnung zu bekommen, musste man eine Nummer kaufen. Damit konnte man ein Jahr lang losziehen und Wohnungen besichtigen. Um die Wartenummer zu bekommen, brauchte man aber eine Personennummer, und die bekam man nur, wenn man bereits wohnte, also eine feste Adresse in Schweden hatte.
»Am Ende bekommt dann der Interessent mit der niedrigsten Wartenummer die Wohnung. Ich habe geglaubt, die machen Witze.«
Sofi schüttelte erstaunt den Kopf. »Jeder hat doch eine Wartenummer.«
»Eigentlich gefällt mir die Idee. Sie ist so schön sozialdemokratisch. Ich hab ein Jahr in Deutschland und Frankreich studiert. Dort verbringt man bei der Wohnungssuche sein halbes Leben in Treppenhäusern und muss lügen und betrügen, um eine Wohnung zu bekommen. Leider ist es unmöglich, hier eine Wohnung zu bekommen, wenn man noch in Reykjavík wohnt. Ich müsste für jede Besichtung hinfliegen, und dann kann ich nicht beeinflussen, ob ich die Wohnung kriege. Da ist es doch besser, man kann mit einem Bündel Kronen wedeln und alles mit dem Eigentümer in einem Rutsch klären.«
»Das geht durchaus«, sagte Kjell. »Wir sind schließlich ein sozialdemokratisches Land. Wie bist du dann an Josefin geraten?«
»Ich habe beim Frauenbund angerufen, um zu fragen, was ich als Ausländerin tun könne, weil die Botschaft und das Einwanderungsamt keinen Rat wussten. Josefin war selbst am Telefon und hat mir ihre Wohnung angeboten. Wir haben uns gleich gut verstanden.«
»Wann war das?«, fragte Sofi.
»Anfang Juni. Ich habe ihr gesagt, dass ich am 21. Juli ankomme.«
»Was habt ihr bei diesem Gespräch alles gesagt?«
Sesselja reagierte irritiert auf Sofis Neugier an den lang zurückliegenden und unwichtigen Telefonaten. »Sie hat nur erzählt, dass sie Studentin sei. Sonst haben wir nur über die Wohnung gesprochen und ein wenig über Island. Ich bekam ihre Adresse und die Telefonnummer.«
»Ihr wusstet also nichts übereinander, bis du an jenem Dienstag geklingelt hast.«
»Sie schien vergessen zu haben, dass ich komme.«
»Aber sie hat dich eingelassen?«
»Wie du siehst.«
»Und dann? Wie war das?«
»Sie war völlig still. Sie hat überhaupt nicht geredet. Als hätte sie nichts zu sagen. Am Telefon hatte sie anders geklungen.«
Sesselja hatte sich gleich in den ersten Tagen bei der Kommune angemeldet, bei der Polizei einen Ausweis beantragt und sich auf die Suche nach Arbeit gemacht. Die falsche Josefin hatte die Wohnung kaum verlassen und sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Bei Gesprächen hatte sie vor allem etwas über Island erfahren wollen.
»Wie alt war sie?«, fragte Kjell.
»Achtzehn.«
Das war vielleicht ihr wahres Alter, notierte sich Sofi.
»In welcher Sprache habt ihr euch unterhalten?«
»Schwedisch.«
»War das ihre Muttersprache?«
»Ja. Wieso fragst du das?«
»Überleg genau! Hat sie Schwedisch wie eine Schwedin gesprochen?«
Sesselja nickte zögernd.
»Wieso stellt ihr diese Fragen?«
Kjell betrachtete Sesselja. »Deine Mitbewohnerin ist nicht Josefin Rosenfeldt. Sie ist eine andere.«
Der Morgen war ein steiler Fall in den Abgrund gewesen. Professor Fornells Anweisungen an sie gerieten kurz. Linda saß ganz allein und leer vor einer weißen Staffelei. Einfälle und Kraft, alles war von ihr gewichen. Am Mittag schlich sie den langen Gang entlang zum Klo, damit sie sich einige Minuten lang nicht so beobachtet vorkam. Sie weinte ein wenig, das half immer. Aber dann musste sie eine ganze Viertelstunde lang vor dem Spiegel alle Spuren davon beseitigen, damit niemand etwas bemerkte, wenn sie wieder in den Saal zurückkehrte.
Dort erwartete sie Aufbruchsstimmung. Die anderen hatten sich von ihren Plätzen erhoben. Amelie stand vor Lindas Staffelei und betrachtete ihre Arbeit vom Vormittag. Es war schlecht gelaufen. Fornell hatte ihr einige Dinge verboten, nur um sie leiden zu sehen. Die Kontur war ihr geglückt. Das tat es immer, das war ihr großer Pluspunkt, auf den sie sich immer verlassen konnte. Leider ihr einziger. Aber wer etwas vom Zeichnen verstand, erkannte sofort, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher