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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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eine Antwort sinnen.
    – Ich sehe, daß Du in den Ueberlieferungen bewandert bist. Nun vielleicht zeigt sich uns doch eines im Laufe der Fahrt, wenn wir ein wenig von dem plaudern, das Du in der Tasche eingesperrt hast«
    Lionel erröthete leicht.
    »Sie wollten… Herr Nick?… versetzte er.
    – Natürlich, mein Junge, das wird uns immerhin eine oder zwei Viertelstunden vertreiben.«
    Dann wandte sich der Notar direct an den jungen Mann:
    »Einige Verse werden Sie nicht belästigen, mein Herr? fragte er lächelnd.
    – Nicht im mindesten! versetzte der Reisende.
    – Es handelt sich um ein Gedicht, welches mein Schreiber angefertigt hat, um an einem Wettbewerbe in der Freundes-Lyra theilzunehmen. Diese jungen Bursche halten sich zu Allem fähig… Vorwärts denn, junger Poet; schieße los… wie die Artilleristen sagen!«
     

    »Habt Ihr noch einen Platz?« (S. 54.)
     
    Lionel, aufs höchste befriedigt einen Zuhörer zu haben, der vielleicht etwas nachsichtiger war, als Herr Nick, zog das bläuliche Papier hervor und las wie folgt:
Das Irrlicht.
    Der unfaßbare Geisterlichschein,
    Der Abends leuchtend sich erhebt,
    Und der in tiefen nächt’gen Schatten,
    Nicht auf dem Meer, nicht auf dem Land
    Die schwächsten Spuren hinterläßt…
     
    Dies Licht, bereit stets zu verlöschen,
    Hier bläulichen, dort fahlen Scheins…
    Um zu erloschen, was es wäre,
    Müßt’ Einer er erst fangen können,
    Doch fangt mir nur ein Irrlicht ein!
     
    – Ja, fiel Herr Nick ein, fange es nur und ziehe es auf Flaschen. Na, fahre nur fort, Lionel.
     
    Man sagt – wer mag genau es wissen?
    Der Wasserstoff des Bodens sei’s;
    Ich glaube eh’r, daß es im Fluge
    Von himmelweiten Sternen herkommt
    Von Vega, Lyra, von Algol.
     
    – Das sieht Dir ähnlich, mein Junge, sagte Meister Nick kopfnickend. Ja, das ist so Deine Sache!
    Lionel fuhr fort:
     
    Doch ist’s nicht einer Sylphe Athem,
    Nicht eines Kobolds glüh’nder Hauch,
    Der leuchtend aufzieht und verschwindet,
    Wenn sich verhüllt die weite Eb’ne
    Im Dämmerlicht des Morgenscheins?
     
    Ist es etwa von Geisterfackeln
    Ein feiner Strahl, der sich auf’s Stroh
    Des Kelterhauses niedersenkte,
    Sobald der Mond mit fahlem Glanze
    Am Abendhorizont sich hebt?
     
    Vielleicht die leuchtend reine Seele
    Von einer Fee, die Frieden sucht
    Weit außerhalb der bösen Erde,
    Und gleich der Sammlerin von Aehren,
    Die furchtlos suchend weiter zieht?
     
    – Vortrefflich, fiel Herr Nick ein. Bist Du zu Ende mit Deinen beschreibenden Vergleichen?
    – O nein, Herr Nick«, antwortete der junge Schreiber.
    Dann fuhr er mit folgenden Worten fort:
     
    Wär’s nur die Wirkung eines Spiegels,
    Die Folge von bewegter Luft
    Am minder hellen Horizonte,
    Wär’ es nach tobendem Gewitter
    Der letzte Schein von einem Blitz?
     
    Stammt es von einer Feuerkugel,
    Von einem Himmelsmeteor,
    Das bei dem Fluge durch die Lüfte
    Ein glüh’nder Körper erst gewesen,
    Von dem nun gar nichts übrig blieb?
     
    Ach, oder ist es auf dem Felde,
    Dess’ Furchen es so schwach bescheint,
    Aus fernen Nordlichts Farbenkranze
    Verirrt nur eine Strahlenlanze,
    Gleich einem nächt’gen Schmetterling?
     
    »Was denken Sie wohl über diesen Troubadour-Wortschwall, mein Herr? fragte Meister Nick hier den Reisenden.
    – Ich denke, mein Herr, erwiderte dieser, daß Ihr junger Schreiber mit nicht geringer Phantasie begabt ist, und bin wirklich neugierig, womit er sein Irrlicht noch weiter vergleichen könnte.
    – Lies weiter, Lionel!«
    Lionel hatte leise erröthend den Lobspruch des jungen Mannes angehört, und mit schwach zitternder Stimme fuhr er fort:
     
    Wär’ es in diesen Todesstunden,
    Wo, was da lebt, ermattet schläft,
    Ein Banner mit gebroch’nen Falten,
    Das hier ein Engel zum Gedächtniß
    Der Hingeschied’nen flattern läßt?
     
    »Brr!…« machte Herr Nick.
     
    Ach, oder ist’s in dunklen Nächten,
    Wenn die bestimmte Stunde kam,
    Ein deutungsvolles Flammenzeichen,
    Das uns’re Erde aus dem Schatten
    Zum unbekannten Himmel schickt?
     
    Das wie ein Leuchtthurm am Gestande
    Den Geistern, die die Weltenräume
    Verirrt durchwandern, hilflos suchend,
    Die fernen, weiten Himmelsthore,
    Den Hafen alles Ird’schen zeigt?
     
    »Sehr gut, junger Dichter! sagte der Fremde.
    – Ja, ja, nicht gerade schlecht, fügte Herr Nick hinzu. Wo der Teufel, Lionel, wo nimmst Du denn das Alles her?… Es ist nun wohl zu Ende?
    – Nein, Herr Nick, entgegnete Lionel, und mit mehr gehobener Stimme las

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