Die Familie ohne Namen
welche kaum weiter als hundert Schritte trugen.
Während seiner Fahrten auf dem St. Lorenzo hatte Johann, wie wir erzählten, Munition und Waffen mehrfach vertheilt; da aber jedes Comité in Erwartung eines allgemeinen Aufstandes davon erhalten hatte, konnten diese’ nicht auf einem bestimmten Punkte concentrirt sein, was doch in St. Denis und St. Charles, wo es offenbar zum ersten Zusammenstoß kommen mußte, jetzt so nöthig erschien.
Inzwischen marschirte Oberst Gore durch die dunkle kalte Nacht weiter. Kurz vor der Ankunft in St. Denis hörte er von zwei in seine Hände gefallenen französischen Canadiern, daß die Aufständischen ihm den Durchzug durch das Kirchspiel verwehren und auf das äußerste kämpfen würden.
Ohne seinen Leuten die geringste Rast zu gönnen, feuerte Oberst Gore diese vielmehr noch weiter an, mit der Eröffnung, daß sie hier keinen Pardon zu erwarten hätten. Hierauf bildete er aus denselben drei Abtheilungen, postirte die eine in ein kleines Gehölz, das den Flecken im Osten deckte, und die andere längs des Flusses, während die dritte, die einzige Kanone mit sich führend, die Hauptstraße weiter hinabzog.
Um sechs Uhr Morgens stiegen der Doctor Nelson, die Herren Vincent Hodge und de Vaudreuil zu Pferde, um eine Recognoscirung auf dem Wege von St. Ours vorzunehmen. Die Dunkelheit war noch so stark, daß alle Drei beinahe den Vortruppen der Königlichen in die Hände gefallen wären. Sofort umkehrend, eilten sie nach St. Denis zurück. Nun wurde der Befehl ertheilt, die Brücke abzubrechen und mit allen Kirchenglocken zu läuten. Binnen wenigen Minuten strömten die Patrioten in dem Lager zusammen.
Dieselben zählten zwischen sieben-und achthundert Mann, von denen nur eine geringe Anzahl mit Gewehren bewaffnet war, während die Anderen sich mit Sensen, Heugabeln und Aexten ausgerüstet hatten. Alle aber beseelte der feste Vorsatz, sich nöthigenfalls tödten zu lassen, aber die Soldaten des Oberst Gore zurückzuschlagen.
Doctor Nelson vertheilte diejenigen seiner Leute, welche in der Lage waren, ein Feuergefecht zu unterhalten, so, daß davon sechzig im zweiten Stockwerk eines steinernen, an der Landstraße stehenden Gebäudes Platz nahmen, unter ihnen auch Herr de Vaudreuil und Vincent Hodge; etwa fünfundzwanzig Schritte davon und hinter der Mauer einer dem Doctor gehörigen Brennerei sollten sich gegen dreißig, unter ihnen William Clerc und André Farran, aufstellen; innerhalb eines zur Brennerei gehörigen Schuppens fanden noch zehn Mann Platz, unter denselben auch der Abgeordnete Grammont. Die Anderen, welche sich nur mit blanker Waffe schlagen konnten, hatten sich vorläufig hinter den Mauern der Kirche zu halten, um im geeigneten Moment auf die Angreifer einzustürmen.
Zu dieser Zeit – gegen neuneinhalb Uhr Vormittags – ereignete sich ein beklagenswerther Zwischenfall, der später – auch durch eine deshalb angestellte Criminaluntersuchung – niemals vollständig aufgeklärt wurde.
Der Lieutenant Weir, der sich unter Bedeckung auf der Landstraße befand, wollte, als er den Vortrab des Oberst Gore erblickte, entfliehen, um wieder zu diesem zu gelangen. Er that aber einen falschen Tritt, und ehe er Zeit gewann wieder aufzuspringen, war er durch Säbelhiebe getödtet.
Jetzt krachten die ersten Schüsse. Eine auf das steinerne Gebäude geschleuderte Kanonenkugel zerfleischte zwei im oberen Stockwerke befindliche Canadier, während ein dritter, der an einem Fenster stand, tödtlich verletzt wurde. Während einiger Minuten wurden nun von beiden Seiten zahlreiche Flintenschüsse gewechselt. Die ein bequemes Ziel bietenden Soldaten bezahlten sehr theuer die verwerfliche Unklugheit, mit der sie sich dem Feuer dieser »Bauern«, wie ihr Führer sagte, aussetzten. Sie wurden von den Vertheidigern des steinernen Hauses decimirt, und drei Kanoniere fielen mit der Lunte in der Hand neben dem von ihnen bedienten Geschütze. Trotzdem legten die Geschosse desselben bald eine Bresche, und das zweite Stockwerk bot damit keine genügende Sicherheit mehr.
»Nach dem Erdgeschoß! rief der Doctor Nelson.
– Ja, antwortete Vincent Hodge, und von da werden wir auf die Rothröcke desto besser schießen können!«
Alle eilten hinunter und das Gewehrfeuer begann mit erneuter Heftigkeit. Die Reformer bewiesen eine außerordentliche Tapferkeit; ja, einige von ihnen stürmten sogar auf die Landstraße hinaus, wo sie sich ohne Deckung der schlimmsten Gefahr aussetzten. Der Doctor sandte
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