Die Familie: Roman (German Edition)
würden, bis Hilfe kommt. Wer weiß, was sie als Nächstes tun werden? Verstehst du, was ich meine?«
Paula nickte. »Du glaubst, jemand anders könnte Ärger machen?«
»Ja, genau, und je länger wir hier unten eingeschlossen sind, desto wahrscheinlicher wird es. Die Feuer brennen runter. Es dauert nicht mehr lange, dann sind sie aus. Es wird wieder dunkel und kalt sein. Alle sind jetzt schon nervös, aber bald werden einige in Panik geraten. Wenn das passiert, gibt es richtigen Ärger.«
»Du willst also, dass wir weggehen und uns verstecken?«
Kyle nahm ihre Hände und blickte ihr in die Augen. Ihm fiel auf, dass seine Angst vor denen auf der anderen Seite von Elys Mauer von Verlangen oder gar Erregung abgelöst worden war.
Sie werden mich nicht kriegen, dachte er. Keine Chance. Das wird gut, richtig gut.
Sich mit Paula verstecken. Weg von den anderen. In der Dunkelheit.
»Ich denke bloß an dich«, sagte er. »Wenn es nur um mich ginge, wäre es mir wahrscheinlich egal, aber … Eine andere Sache ist, dass es mir nicht gefällt, wie einige der Männer dich angesehen haben.«
»Was meinst du damit?«
»Als wollten sie … Ich weiß nicht, vielleicht mache ich mir zu viele Sorgen. Aber wenn es wieder dunkel ist und keiner sehen kann, was der andere macht, könnte jemand was versuchen. Sachen, die er normalerweise nicht tun würde. Ich würde alles geben, um dich zu beschützen, aber … Ich glaube einfach, wir sollten nicht hierbleiben. Es ist besser für uns beide, wenn sie nicht wissen, wo du bist.«
Stirnrunzelnd schüttelte sie den Kopf. »Du hast Angst, jemand könnte mich … belästigen?«
Sie kauft es mir ab, bemerkte Kyle. Sie glaubt mir.
»Vielleicht hätte ich nicht damit anfangen sollen«, fuhr er fort, »aber, ja, das ist mir durch den Kopf gegangen. Es würde mich nicht überraschen.«
»Wer?«
»Der Mann, der bewusstlos geschlagen wurde, hat dich komisch angesehen.«
»Ekelhaft.«
»Die beiden mit den Kinnbärten haben dich auch begutachtet.«
»Aber die sind doch schwul, oder?«
»Wenn sie schwul sind, warum haben sie dann auf deine Brüste geglotzt?«
»Wirklich?« Sie rümpfte die Nase.
»Ja. Und der alte Mann, der Calvin die Zigarre gegeben hat.«
»Du machst Witze«, flüsterte Paula.
»Aber wirklich Sorgen mache ich mir wegen der Frau, die Calvin dabeihat.« Kyle rümpfte ebenfalls die Nase und schlug einen angewiderten Tonfall an. »Man konnte sie fast sabbern sehen, als sie dich angestarrt hat.«
»O Gott. Eine Lesbe?«
»Hast du nicht gemerkt, wie diese ganzen Widerlinge dir schöne Augen gemacht haben?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich will nicht sagen, dass sie wirklich was versuchen, aber wenn es erst mal dunkel ist …«
»Du meinst also, wir sollten uns verstecken«, sagte Paula.
»Ja.«
»Wo sollen wir hingehen?«
Er nickte in Richtung Dunkelheit. »Da drüben. Auf die andere Seite des Flusses. Da finden sie uns nie.«
Und die Wahnsinnigen auch nicht, dachte er. Das war das Wichtigste. Er wollte mit Paula allein, aber vor allem verborgen sein, falls die von der anderen Seite der Mauer kamen. Er war sich sicher, dass sie dem Gehweg folgen würden, wenn sie den Lake of Charon verließen. Der Weg verlief am Fluss entlang und würde sie direkt zu den Leuten bei den Aufzügen führen. Mit oder ohne Paula – er plante, sich auf der anderen Seite des Flusses versteckt zu halten, wenn sie kamen.
Aber mit ihr wäre es viel besser.
»Okay?«, fragte er.
»Okay.«
Ohne sich zu beeilen, führte er Paula um die Gruppe herum. Niemand schien sie zu bemerken. Die meisten blickten zu den Feuern, als fürchteten sie die Dunkelheit und versuchten, deren Existenz zu leugnen, indem sie ihr den Rücken zuwandten.
Aber es waren ungefähr dreißig Leute. Eine Weile drückte sich Kyle am Rand der Gruppe herum, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtete. Dann ging er rückwärts und zog Paula mit sich.
Nach vier lautlosen Schritten waren sie in Dunkelheit gehüllt. Selbst wenn nun jemand hinsähe, würde man sie mit an den Feuerschein gewöhnten Augen wahrscheinlich nicht entdecken.
Kyle drehte sich um. Paula blieb an seiner Seite. Arm in Arm entfernten sie sich leise, tiefer in die Dunkelheit hinein.
»Können wir in Sichtweite der Feuer bleiben?«, flüsterte Paula.
»Klar.« Das hatte er ohnehin vorgehabt. Er hoffte zu sehen, was geschah, wenn die Wahnsinnigen auftauchten. Obwohl er Paula gewarnt hatte, dass die Feuer bald erlöschen würden, gab es
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