Die Familie: Roman (German Edition)
nur zu.«
Er hörte leise Geräusche; wahrscheinlich wühlte die Frau in ihrer Handtasche. Dann das Knistern von Zellophan. Er blickte gerade rechtzeitig über die Schulter, um winzige Funken sprühen zu sehen, als das Streichholz über die Reibefläche fuhr. Der Streichholzkopf entzündete sich. Die plötzliche Helligkeit stach Wayne in die Augen. Er blinzelte. Eine gelborangefarbene Aura umgab die helle Flamme und beleuchtete nicht nur die Frau mit der Zigarette zwischen den Lippen, sondern auch ein paar andere Leute, die in der Nähe saßen.
Die Frau war deutlich über fünfzig Jahre alt, brachte wahrscheinlich hundertfünfzig Kilo auf die Waage, trug ihr graues Haar in einem Topfschnitt und eine Brille, die so rund war wie ihr Gesicht. Sie hatte sich einen Strickschal mit Zopfmuster umgewickelt. Das verblichene Kleid reichte ihr lediglich bis zu den Knien. Die Waden, jeweils von der Größe eines Schinkens, steckten in Kniestrümpfen, die oben in ihr Fleisch schnitten, sodass Fettwülste über den Gummizug quollen.
Ein echter Hingucker, dachte Wayne.
Ihre Handtasche stand auf der schrägen Plattform ihres Kleids, das sich über die Oberschenkel spannte. Sie warf das Streichholzheftchen hinein. Dann schüttelte sie die Flamme aus und verschwand.
Nur die glühende Spitze der Zigarette blieb zurück.
Wayne dachte an die Grinsekatze aus Alice im Wunderland . Die Zigarette der Frau war wie das Grinsen der Katze, das zurückblieb, nachdem der Rest verschwunden war.
Das muss ich in mein Buch einbauen, dachte er. Die Sache mit der Grinsekatze.
Die Frau würde eine gute Figur abgeben. Eine Nebenfigur, aber grotesk genug, um den Leser zu beunruhigen. Erfinde ein gemeines Ende für sie.
Wayne wandte sich von ihr ab und blickte auf die Glut in den Aufzugskabinen.
Was für ein gemeines Ende?, überlegte er. Du zäumst das Pferd von hinten auf. Du hast noch nicht einmal festgelegt, wer oder was den Leuten an den Kragen geht. Sie sind in einer Höhle eingeschlossen. Etwas oder jemand beginnt, sie fertigzumachen.
Was wäre, wenn die Frau böse Kräfte hätte? Ist sie eine Hexe, die den Verstand der eingeschlossenen Leute manipuliert und sie gegeneinander aufbringt? Ich kann den Teil verwenden, wo Calvin auf dieses Arschloch losgeht. Gott, ich könnte die ganze Szene genauso einarbeiten, wie sie vorgefallen ist.
Aber das ist erst der Anfang. Dann geschehen richtig schlimme Dinge.
Vielleicht löst die dicke Frau sie mit ihrer Magie aus, oder das Böse in all den Leuten bricht hervor, weil sie müde und verängstigt sind. Ist es schwarze Magie oder die menschliche Natur, die das Gemetzel auslöst? Stell das in den Vor dergrund, dann bekommt die Geschichte eine gewisse Tiefe und sieht nicht aus wie ein billiger Horrorroman.
Bringe einen Sündenbock ins Spiel. Sie geben der dicken Frau die Schuld, bezeichnen sie als Hexe, verbrennen sie auf dem Scheiterhaufen – verbrennen sie in einem der Aufzüge.
Mann, das entwickelt sich gut.
Wayne grinste.
»Wie geht’s, Katie?«, fragte er.
»Für mich ist das kein besonders schöner Tag.«
»Das ist es für niemanden, Schätzchen«, sagte Jean.
»Ach, mein Tag entwickelt sich langsam ziemlich gut«, meinte Wayne. »Ich glaube, hinter dieser kleinen Wolke sehe ich einen silbernen Streifen am Horizont, der uns alle sehr glücklich machen wird.«
»Du spinnst«, murmelte Katie.
»Mir ist ein bisschen kalt, Calvin.«
»Das geht vermutlich allen so. Möchtest du näher bei den Aufzügen sitzen? Da ist eine Menge Glut drin, die wahrscheinlich ordentlich Hitze abgibt, wenn wir dicht genug rangehen.«
»Ach, ich weiß nicht. Es ist so dunkel. Wir würden über die anderen Leute stolpern.«
Calvin fragte sich, warum sie sich über die Kälte beschwerte, wenn sie sich nicht die Mühe machen wollte, etwas dagegen zu unternehmen. Höchstwahrscheinlich nur, um sich selbst reden zu hören. »Soll ich mich auf dich drauflegen?«, fragte er.
»Pssst. Die Leute hören uns noch.«
»Ich schätze, ich könnte dich schnell aufwärmen.«
»Calvin.«
Grinsend tätschelte er ihren Oberschenkel. »Mach dir keine Sorgen, Süße, ich tue nichts, weswegen du dich schämen müsstest.«
»Dafür ist es ein bisschen spät.«
»Zum Teufel, jetzt geht das wieder los.«
»Du würdest dich freuen, wenn der Mann tot wäre.«
»Ich hätte ihn mit Freuden umgebracht, um ehrlich zu sein.«
»Das ist nicht dein Ernst. Calvin, dafür würdest du auf ewig in der Hölle schmoren.«
»Mavis, Süße,
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