Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Hürden, hoch!
Im »Spiegel«-Heft 10, 1985 liest man folgende Meldung über den schon nicht mehr ganzen jungen Mann auf der Suche nach einem gangbaren Weg, mit dem man dem künstlerischen Anspruch treubleiben, aber auch seinen Lebensunterhalt erwerben kann: »Lars Brandt, Sohn des SPD-Vorsitzenden, meldete sich in der vergangenen Woche im tiefen Sauerland in der Öffentlichkeit zurück: Der zweitälteste von drei Brandt-Söhnen, zeitweilig bekannt durch seine Rolle in der Verfilmung der Grass-Novelle ›Katz und Maus‹ und wegen seiner vor allem von Boulevard-Zeitungen aufmerksam registrierten Teilnahme an Berliner Demos, eröffnete in der Galerie ›Lüdenscheid West‹ seine erste Einzelausstellung. Seit er 1976 sein Studium der Soziologie und Japanologie abgebrochen und seinen Eltern mitgeteilt hatte, er wolle von sofort an nur noch malen, signierte er seine Bilder mit dem Pseudonym ›David Stein‹. Damit habe er vermeiden wollen, dass nur sein Name Interesse an seiner Kunst wecke. Somit sei die Ausstellung (Preise: 800 bis 15000 Mark) auch als Bekenntnis zur eigenen Identität zu verstehen. Die Familie hielt sich denn auch weitgehend raus: Zur Eröffnung kam nur Bruder Matthias mit Punker-Frisur. Mutter Rut sah sich die abstrakte Schau vorher an, Vater Willy will in den nächsten Tagen ohne Aufsehen vorbeischauen.« Einige, die Lars Brandt in dieser Zeit erlebt haben, meinen, er habe sich gesträubt, an die Öffentlichkeit zu gehen, auch habe er für seine Bilder Preise aufgerufen, die zwar seinem Arbeitseinsatz angemessen waren, die aber potentielle Käufer doch abschrecken mussten, weil niemand Lars Brandt als Künstler kannte. Die Preise seien auch Schutzschilde gegen ein allzu schnelles Einverleibt- und Geschlucktwerden zu verstehen, als Puffer gegen potentielle Kritik und einen vielleicht ausbleibenden Erfolg. Wer sich selbst verknappt, wer den Zugang zu sich so versperrt, kann sicher sein, nur von denen gefunden zu werden, die verstehen wollen.
Ich bin wieder mal in Bonn gewesen. Habe Lars Brandt getroffen. Auf dem Rückweg versuche ich mich an dem Porträt eines Dialogs zwischen Künstler und Gesellschaft, an einem Psychogramm. Passt es zu diesem Mann, den ich da grad getroffen habe? Lars, schreibe ich über seinen Weg vom Venusberg nach Lüdenscheid, legte sein Veto ein. Er war erst mal dagegen, bevor er dafür war. Einverstanden sein hieße vorschnell seinen Frieden machen mit dem, was es abzulehnen galt, weil es die Ich-Essenz verfälschte, verwässerte, unzulässig verfremdete. Wer aber dauerhaft opponiert, sein Einverständnis verweigert, weil er das Mitlaufen an sich für flau und bequem hält, wer nicht mitmacht aus Prinzip, weil das Mitmachen einfach den bewusstlosen Betrieb am Laufen hält, dem wächst die Aura des Unverstandenen zu. Kein Mitläufer sein, das ist sein sich selbst auferlegter Imperativ. Wer sich in diesem Nicht-Einverstandensein einrichtet, wird sich bald unverstanden fühlen und – sofern er dieses Lebensspiel konsequent fortsetzt – sich unverstanden fühlen wollen, weil es beweist, dass er keine Konzessionen an das falsche Leben macht; oder ihm wird die Rolle des Unverstandenen von anderen zugewiesen, die nicht verstehen wollen, warum sich einer einrichtet im Nein und Nicht. So igelt man sich ein zwischen nicht Nicht-verstehen-Wollen und Nicht-verstanden-Werden, zwischen fremdem und eigenem Unverständnis. Dir wächst eine Stachelhaut, die sticht nach innen und nach außen. Entzündete Empfindsamkeit, das ist Kapital und Schuldverschreibung eines Künstlers, der sich immer fragen wird, ob er den eigenen Ansprüchen genügt. Das ist schmerzhaft, denn die eigenen Ansprüche sind nicht eben klein, sondern, auch aus Vorsorge gegen die Ansprüche der Welt, von vornherein streng und scharf. Doch die Welt entwickelt mitunter ganz andere Maßstäbe und Kriterien, nach denen sie rücksichtslos urteilt und den Künstler zaust und zergliedert. Der muss sich unverstandener fühlen denn je, denn er weiß besser als jeder andere, dass die Welt ihn, sein Werk oder sein Werk-Ich aus ganz falschen, oberflächlichen Gründen ablehnt.
Ist Lars Brandt ein dramatischer Mensch? Nein, eher nicht. Ernst? Ja, ernst, ja! Aber doch auch begeisterungsfähig! Keineswegs erloschen oder erkaltet. Ich erinnere mich, wie er sich in einem unserer Gespräche für den früheren Direktor des Museums Ludwig in Köln, Kasper König, begeisterte, rein und unverfälscht. Ja, er hat diesem Mann – ich
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