Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Leben.«
Matthias Brandt und Ute Heidorn bleiben nahezu sechs Jahre lang ein Paar. Nachdem sie fünf Jahre zusammen sind und manches geteilt haben, was man nicht allein austragen möchte, finden sie, dass man ebenso gut heiraten könne, und so treten sie in Wardenburg bei Oldenburg vor den Standesbeamten. Keine Eltern, keine Freunde, nur Trauzeugen. Ein paar Wochen nach der Hochzeit wissen beide, dass man manchmal heiraten muss, um zu erkennen, dass man fortan besser auf getrennten Wegen durchs Leben geht. Dennoch bleiben die beiden einander freundschaftlich verbunden, haben es auch nicht eilig mit der Scheidung, die erst im Dezember 1995 »im Namen des Volkes« in Berlin ausgesprochen wird.
»Eine Anekdote«, sagt Ute Heidorn, die heute in Innsbruck lebt und arbeitet, »will ich Ihnen noch erzählen, weil ich sie so nett finde. Mein Vater war ein richtiger Sozialdemokrat, wenn der Willy Brandt kennengelernt hätte …? Er ist auch immer auf die Kundgebungen zum 1. Mai gegangen. Als Matthias und ich Willy Brandt einmal in Unkel besuchten, bekamen wir etwas geschenkt. Es gab in dem Haus einen eigenen Raum, in dem sich nur die Geschenke stapelten, die sein Vater immer bekam. Und dann griff Brandt nach einem Zigarrenkistchen mit echten Havanna-Zigarren von Fidel Castro. Die Zigarren haben wir dann meinem Vater mitgebracht, und der hat sie mit nach Stöcken ins VW-Werk genommen. In der Mittagspause hat er die Kiste reihum gehen lassen, und dann saßen die Malocher dort und qualmten die dicken Dinger aus Kuba.«
Die erste Theaterstation von Matthias Brandt heißt Oldenburg. Seine glücklichste Theaterzeit. Oldenburg ist eine kleine Großstadt im nördlichen Niedersachsen. Stolz ist man hier auf die schmuckstübchenhafte Fußgängerzone, die 1967 die erste flächendeckende Fußgängerzone der Bundesrepublik war. Es ist ein familiäres Flanieren, man geht im Kreis, und wenn man das dritte Mal an jemandem vorbeikommt, hat man das Gefühl, ihn und die halbe Einwohnerschaft gut zu kennen. Die Stadt besitzt eine agile Universität, ein barockes Schloss und ein traditionsreiches Theater. Ein unaufgeregtes Städtchen, dessen Bewohner immer noch den letzten Großherzog von Oldenburg verehren, den Grafen Anton Günter, ein Pferdenarr, der durch seine kluge Neutralitätspolitik vermied, dass die Stadt in die Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges hineingezogen wurde. Selbst im Abgehen ließ er sich Zeit. Man bestattete ihn in einem Schausarg, so dass seine Untertanen dem Toten beim allmählichen Verschwinden zusehen konnten. Dieses Moment der Allmählichkeit prägt das Städtchen bis heute: Abwarten und Tee trinken.
Wer über Jahrhunderte seinen Stolz auf einen sich langsam auflösenden Großherzog pflegt, lässt sich auch wenig von einem Bundeskanzlersohn beeindrucken, der hier als Schauspieler seine Laufbahn beginnt. In der »Nordwest-Zeitung«, die Groß-Herzogin unter den hiesigen Zeitungen, findet sich kein Hinweis darauf, wer hier gerade aufschlägt, auch nicht bei der Vorstellung der neuen Kräfte am Oldenburgischen Staatstheater. In keiner der Kritiken oder Kurz-Porträts über Matthias Brandt habe ich einen Hinweis gefunden, aus welcher Familie er stammt. Er spielt in Oldenburg gleichsam inkognito, obschon jeder im Ensemble wusste, woher er stammte und wer seine Eltern sind, zum Dauerthema taugt es im Theateralltag nicht. Matthias Brandt findet sich leicht ein: »Das Staatstheater in Oldenburg war das einzige Theater, wo es mir wirklich gefallen hat. Da war ich fast drei Jahre, an keinem anderen Theater habe ich es später länger ausgehalten. Ich mochte die Stadt sehr, und das Theater war ein funktionierendes Provinztheater unter der Intendanz von Herbert Häckermann. Ich hatte das Gefühl, dass dort ein Plan dahintersteckt, und es gab Menschen, die sich meiner angenommen und mir eine Orientierung gegeben haben. In Oldenburg konnte ich als Anfänger wirklich etwas lernen, später gab es nie wieder einen Regisseur, an dem ich mich orientiert habe, es gab nur Momente, die einleuchteten oder nicht. Es ist ja nicht so leicht in diesem Beruf, denn der Schauspieler sucht immer einen, der ihn erlöst. Man spürt als Schauspieler permanent den Mangel der eigenen Leistung, und deshalb sucht man immerzu nach jemandem, der einem zeigt, wie es geht. Für einen jungen Schauspieler ist es irrsinnig wichtig, dass er irgendwo Halt findet. Da fühlte ich mich später oft allein gelassen, das soll kein Vorwurf sein, es liegt
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