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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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einem Speer in der Hand in der Kantine saßen und Skat spielten. Diese Seltsamkeit gefiel mir. Auf der anderen Seite hat mein Wunsch, Schauspieler zu werden, damit zu tun gehabt, dass mich diese Schauspielerwelt beeindruckt hat. Ich sah die zwar nur aus der Ferne, ich kenne auch deren Namen nicht mehr, aber wie die so am Pförtner vorbeigegangen sind, den Schal lässig umgeworfen und mit Stütze ihr ›Guten Abend!‹ hinschmetterten, das fand ich großartig. Ich glaube, dass ich zuallererst Schauspieler werden wollte, weil ich so locker am Pförtner vorbeigehen wollte. Es wäre gelogen zu sagen, ich wollte Schauspieler werden, weil mir der ›Faust‹ so gut gefallen hätte. Das hatte viel mehr mit diesen atmosphärischen Sachen zu tun oder damit, dass ich dachte, das muss sich toll anfühlen, ein Schauspieler zu sein. Dann ist man was und wer.«

    Als Matthias Brandt zur Schauspielprüfung in Hannover antritt, ist er einer von vielen, sehr vielen. Auf zwölf Plätze bewerben sich etwa 1000 Kandidaten. Schauspielschulen beerdigen Träume. In dem Team, das die Studienplätze vergibt, sitzt auch Peter Meinhardt. Dass dieser spillrige Schlacks, der da zur Tür hereinkommt, Matthias Brandt aus Bonn ist, jener Junge an der Hand von Rut Brandt, ahnt der Dozent nicht. Der hat auch nicht mehr viel gemeinsam mit dem fröhlichen König aus Dornröschen, der steckt jetzt eher in einem melancholischen Anzug. Was er vorspielt? Er hat sich den Kostja Treplew ausgesucht, jenen angehenden jungen Schriftsteller aus Tschechows »Die Möwe«, der davon träumt, eine neue Form des Schreibens zu erfinden, aber am Leben verzweifelt, weil seine Mutter ihn nicht ernst nimmt und eine Geliebte ihn verlässt. Ein verzweifelter, junger Mann auf der Suche nach emotionaler und künstlerischer Heimat. »Sie haben«, klagt er, »Ihren Weg gefunden, Sie wissen, wohin Sie gehen, ich aber quäle mich noch immer mit einem Chaos von Gebilden ab, ohne zu wissen, wozu und für wen das nötig ist. Ich glaube nicht, und ich weiß nicht, was mein Beruf ist.« Der Kandidat flüstert. Ja, ja, schön und gut, aber könntest du das vielleicht wiederholen? Oder warte mal, wir kommen jetzt ein Stückchen näher zu dir, nehmen unsere Stühle, und bitte, fang doch noch mal an! »Er spielte«, erinnert sich Peter Meinhardt, »kaum hörbar, er war sehr bei sich, aber nicht ohne Ausstrahlung, unkonventionell, fast privat, sehr leger, unterster Lautstärkepegel, wir mussten ganz nah an ihn heranrücken, um ihn zu verstehen, aber niemand hat gesagt, jetzt sprich doch bitte mal lauter. Er war stilistisch unverdorben und rannte niemandem hinterher, man spürte da keine Kopie. In einem anderen Teil der Prüfung nahm er an einer Gruppenarbeit teil, da müssen dann vier oder fünf Leute eine kleine Szene improvisieren. Das Stück, das die dann spielten, hieß »Wasserrohrbruch am Heiligen Abend«, und Matthias spielte einen Frosch, der aus dem Rohr sprang. Das war herrlich verdreht. Er ist übrigens ein ganz skurriler Komödiant, der hochgradig verrückte Sachen machen kann. Ich hab mich manches Mal weggeworfen vor Lachen, weil er die Katastrophen eines Menschen so wunderbar zünden lassen kann, diese Seite sieht man in seinen Fernsehrollen gar nicht so. Übrigens musste er oft schlucken, fast nach jedem Wort, nach jedem Halbsatz schluckte er, so als ob er vielleicht zu oft etwas runterschlucken musste?« Den letzten Satz lässt sein Schauspiellehrer, der stolz ist auf seinen Matthias, mit einem dicken Fragezeichen ausklingen. Niemand von den Kollegen habe gewusst, wer denn dieser Flüsterjunge war. Erst als Peter Meinhardt noch einmal den unauffällig gehaltenen Lebenslauf des Kandidaten studiert, geht ihm auf, wer da den Kostja gegeben hat. »Wisst ihr, wen wir da gerade aufgenommen haben?«, fragt er seine Kollegen. Man verabredet, nichts nach außen dringen zu lassen, doch am nächsten Tag ruft die »Bild«-Zeitung: »Brandt-Sohn studiert in Hannover«. Die Aufregung legt sich schnell. Und Matthias Brandt passierte vermutlich das Beste, was ihm zu diesem Zeitpunkt passieren konnte, er wird von der Öffentlichkeit vergessen. »›Du bist hier nicht als Sohn von Willy Brandt aufgenommen worden!‹, hab ich Matthias zu Beginn seiner Ausbildung gesagt, und da war er sehr dankbar.«

    Wie fühlt man sich als angehender Schauspielerschüler?
    »Ich hatte die Schauspielprüfung im Juli 1982 bestanden und hatte dann Zeit bis zum 1. Oktober, wo das Studium anfing. Mit einem

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