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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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palästinensisches Terrorkommando entführt die »Landshut«, um die RAF-Gefangenen in Stammheim freizupressen. Helmut Schmidt lässt die Spezialeinheit GSG-9 das Flugzeug stürmen, die Geiseln werden befreit, drei der vier Geiselnehmer werden getötet. In Stammheim nehmen sich daraufhin Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader das Leben. In der Klasse auf dem Cusanus-Gymnasium wird die Aktion der GSG-9 überwiegend begrüßt. Unsere Jungs! Sind das nicht Helden!? Matthias jedoch ist entsetzt. »Was für ein Fehler!«, sagt er, viele Menschen sind umgekommen, gar nichts ist gut! Auch in einem anderen Fall geht er auf Distanz zu Verhaltensweisen, die ihm unheimlich sind, die ihn befremden. Chun Mei engagiert sich vehement als Schülervertreterin. Die inneren Reformen, die die Brandt-Regierung angestoßen hat, erreichen jetzt auch die Schulen. Schüler- und Elternsprecher sprechen selbstbewusst in den Gesamtkonferenzen mit, die aufsässigen Schüler klopfen die Schulstatuten und Schulgesetze auf juristische Fehler ab, Forderungen nach Liberalisierung und weitergehender Mitbestimmung werden erhoben. Die kritischen Schüler laden Politiker wie Horst Ehmke als Referenten ein, sie gründen ein Schülercafé und zwingen den Schuldirektor am 9. November 1978, der Novemberpogrome von 1938 zu gedenken. »Das ist Ihre Geschichte«, wird dem Direktor, der ein Nazi gewesen sein soll, vorgehalten. »Wir«, erinnert sich Chun Mei, »galten als die Terroristen!«
    Eines Tages wird ein Lehrer beschuldigt, eine Schülerin geschlagen zu haben. Der Fall wird in einer Schulkonferenz behandelt, der beschuldigte Lehrer beschwört seine Unschuld, bricht in Tränen aus. Matthias, der als stellvertretender Schülersprecher an der Konferenz teilnimmt, betrachtet die Szene mit gemischten Gefühlen. Das also kann Politik auch sein, eine Form der Gewalt, die Menschen klein macht und demütigt. Er geht innerlich auf Distanz zu dieser Art von Auseinandersetzung, zieht sich auf einen Beobachterposten zurück.
    Chun Mei erlebt Rut Brandt als »würdevolle, selbstbewusste Frau«, die Eigeninitiative beweist, nicht auf ihren Mann wartet, sondern eigene Wege geht. »Wie haben Sie«, frage ich Chun Mei Tan, »Willy Brandt bei gemeinsamen Treffen erlebt, hat er sie zur Kenntnis genommen, hat er sich für ihre Geschichte interessiert?« – »Ich denke, da war wenig Platz in ihm, um sich für mich zu interessieren. Ich hatte das schon mit meinem Vater erlebt, der auch dieser Generation der unerreichbaren Väter angehörte. Denen war so viel zugestoßen, die hatten so viel erlebt und mitgemacht … ich bin in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass es ein Fehler wäre, zu erwarten, dass sich mein Vater für mich interessiert, da war kein Platz für einen Konflikt, so habe ich Brandt auch gesehen, ein unerreichbarer, aber kein wirklich autoritärer Vater, einfach sehr fern. Für diese Generation musste es immer vorwärtsgehen, damit man überlebte.«

    Nach dem Abitur 1981 gönnt sich Matthias Brandt ein »Nichtstuerjahr«, wie er sagt, ein experimentelles Träumen, Suchen, Fühlen. Seine Mutter zieht nach Kopenhagen, er bezieht die erste eigene Wohnung. Er liegt in diesem Sommer viel am Rhein, liest Romane wie den »Doktor Faustus«, die er »nur zur Hälfte versteht«, saugt aber aus den unverstandenen Partien Fliehkräfte eigner Art, päppelt Wünsche auf, studiert faktisch eine Woche lang Jura, was ihm reicht, um zu wissen, was er nicht will: Paragraphen und Akten reiten, anderer Leute Streit streiten.
Sommer
Van Nelle: Selbstgedrehte rauchen
Theolonius Monk hören
Papierene Plattenhüllen auf den Kopf stecken
Im »Maddox« abhängen
Zum Frank-Zappa-Konzert nach Köln
»Der Fänger im Roggen« lesen
Gegen die Nachrüstung demonstrieren (eher beiläufig)
Nachts ins geschlossene Schwimmbad einbrechen
Nach Amsterdam fahren oder nach Köln
Woody Allen adoptieren
Die Plattenabteilung bei »Saturn« auf den Kopf stellen
    Was er will? Geschichten erzählen? Schließlich besinnt er sich wieder auf die Welt unter der Decke, auf die ins Kissen genuschelten Texte, nimmt die Theaterwelt näher in Augenschein: »Ich war Komparse am Bonner Stadt-Theater, wo mir die Oper zunächst wesentlich besser gefallen hat als das Schauspiel. Mir gefiel die Musik, und die Kostüme fand ich auch besser. Dieses Grüppchen der Komparsen bestand aus einer Truppe von ›Taugenichtsen‹ (lacht), die sich ihre zwanzig Mark am Abend verdienten, und mit einem Helm auf dem Kopf und

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