Die Familie Willy Brandt (German Edition)
derartigen Selbstbewusstsein bin ich in meinem ganzen Leben nie wieder durch die Gegend gelaufen. Ich dachte, ich sei der Größte, das war eine großartige und wichtige Erfahrung, denn ich hatte das erste Mal das Gefühl, mich durch eine eigenständige Leistung von den anderen abgehoben zu haben. Das konnte man auch den Eltern gut verkaufen, das leuchtete ihnen sofort positiv ein. Da haben sich fast 1000 Leute beworben! Eltern denken dann, klar, ist ja unser Sohn, wundert uns nicht, dass der genommen wurde. Da besitzt man ihnen gegenüber natürlich eine gute Position. Und dann fängt dieses Studium an und nach einer Woche haben sie dich auf Zwergenformat zurechtgestutzt.«
Vier Jahre Hannover.
Gäbe viel zu erzählen.
Wo anfangen?
Kurz bleiben!
Der junge spillrige Mann muss/will ein bisschen fester im Wind stehen. Muskeltraining, bisschen. Hat einen Hund, den nennt er »Phoebe«, so heißt die kleine Schwester von Holden Caulfield, mit der der verloren-verlassene Held auf seiner nächtlichen Odyssee durch New York gern sprechen würde, doch die kleine Schwester liegt längst im Bett. Mit Phoebe spricht Matthias in Geheimsprache. Gibt das Kommando »Hautcreme« und meint »Ab nach draußen!«. Matthias heißt jetzt Matze. Trägt einen Ohrring, das wundert den Vater wohl, der sagt aber nichts, brummt nur mal was zu einem Referenten, was der aber auch nicht wirklich versteht. In der WG verschenkt »Matze« ab und an Zigarren, die aus Kuba angeflogen kommen, von Fidel für Willy. Einmal lässt sich »der Alte« blicken, hat gerade hier zu tun und sieht Matthias als »Ariel« in Shakespeares »Der Sturm«, es ist eine Jahrgangsarbeit. Und schließlich die Abschieds- und Abschlussvorstellung: Das historische Skandalstück »Das Liebeskonzil« von Oskar Panizza. Matthias Brandt spielt den Papst: »Den Papst muss ich spielen!«
Peter Meinhardt hat eine Videoaufzeichnung der Abschlussprüfung archiviert. Wir schauen uns die recht undeutlichen Bilder an. Matthias Brandt wird beinahe von seinem gewaltigen Papst-Kostüm verschluckt. Vorlauf. Die Vorstellung ist vorbei, Beifall brandet auf, die Schauspieler gehen ab, ziehen sich in die Garderobe zurück, doch die Kamera bleibt am Ball, denn jetzt heißt es auseinandergehen, jetzt ist das Studium vorbei, jetzt wird der Jahrgang in alle Himmelsrichtungen verstreut, wer schafft es, wer scheitert, wer geht andere Wege? Die Stimmung ist gemischt, Freude, Erschöpfung, euphorische Melancholie, die Studenten schminken sich ab. Da kommt auch Ute Heidorn ins Bild, Matthias Brandts damalige Freundin und seine spätere Frau. Sie stammt aus Hannover und beginnt ihr Schauspielstudium ein Jahr nach Matthias. Die jungen Schauspielschüler fallen einander sofort in die Augen, stürzen einander ins Herz, Oktober 1983, und verlieren keine Zeit, ein Paar zu werden. Weil es sich gut und richtig anfühlt, zusammen zu sein, ziehen sie bald zusammen.
Die Familie Brandt, erzählt Ute Heidorn, das sei für sie in erster Linie Rut Brandt gewesen. Lars und Peter lernt sie nur flüchtig kennen, auch die wenigen Begegnungen mit Willy Brandt bleiben wenig eindrücklich, umso lebendiger steht ihr Rut Brandt vor Augen: »Einen herzlicheren Menschen als Rut Brandt habe ich selten getroffen. Sie war die Familie Brandt für mich, und sie war es auch, die meine Eltern kennenlernen wollte. Ich habe mich bei diesem Zusammentreffen zunächst ein bisschen geschämt, weil ich aus einem richtigen Malocher-Haushalt stamme, mein Vater arbeitete als Schlosser bei VW, aber Rut waren gesellschaftliche Schranken vollkommen gleichgültig. Rut Brandt hat den Sozialismus nicht gepredigt, die hat ihn gelebt. Sie war eine große Seele von Mensch, und als wir uns das erste Mal in Kopenhagen trafen, hat sie mich gleich in die Arme geschlossen.«
»Wie hat Matthias Brandt damals auf Sie gewirkt?«
»Matthias war ein sehr empfindsamer, auch ein schüchterner Mensch. Wenn er im Studium in falsche Hände geraten wäre, wäre aus ihm vielleicht kein Schauspieler geworden, denn Schauspieler leben von ihrer Empfindsamkeit und müssen sie schützen, andererseits dürfen sie sie auch nicht einmauern, sonst bleibt die Empfindsamkeit unsichtbar. Vielleicht ist Matthias in seinem Beruf dem Vater auch näher, als er denkt, denn Willy Brandt war auch ein großer Schauspieler, einer, der sich im Beifall badete. Matthias hat sich eine große Empathie für andere bewahrt, das zeichnet ihn auch als Schauspieler aus, Empathie für andere
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