Die Familie Willy Brandt (German Edition)
öffentlichen Präsentation in Augenschein genommen hat. Die meisten Genossen jedoch, die aus ihren Bundesländern anreisen und bei denen ein Besuch im Willy-Brandt-Haus zum Pflichtprogramm gehört, müssen erst mal davon überzeugt werden, dass das »ihr Willy« ist. Die versierte Kunsthistorikerin Daniela Zehe, die viele Besuchergruppen durchs Haus geführt hat, hat oft erlebt, wie ablehnend die ersten Reaktionen sind: »Die Skulptur polarisiert. Viele unserer Besucher brauchen eine Erklärung. Sie kommen mit ihrem Brandt-Bild zu uns und sind dann enttäuscht, dass sie das in der Skulptur nicht wiederfinden. Da gibt es krasse Ablehnung, Ausdrücke wie ›Clochard‹, ›Frankenstein‹, ›Zombie‹ oder ›Penner‹ sind gefallen. Viele Besucher finden, dass die innere Unruhe und die Zerrissenheit, die die Figur vermittelt, nicht zu einem Bundeskanzler passt. Die Präsenz der Macht fehlt ihnen. Es sind meistens die Frauen, die sagen, sie spüren etwas von Brandts Persönlichkeit.«
Vermutlich ist die Willy-Brandt-Skulptur die exponierteste politische Skulptur des Landes. Keine andere taucht so oft in den Medien auf, keine wird so oft benutzt, um das Seelenleben einer Partei zu illustrieren oder es kritisch zu befragen. Die Figur ist wahlweise Memento oder Menetekel. Wenn eine Landtagswahl geschlagen ist, wenn ein Kandidat an- oder abtritt, wenn die Partei etwas Grundsätzliches mitteilen will, dann ist »Willy« im Bild, der weisende oder mahnende Arm, die mächtige Hand, das schwere Haupt voll Tag und Traum. Die Enkel oder jetzt schon Urenkel der Partei müssen sich den »Alten« gefallen lassen, der stets so ins Bild gesetzt wird, als wolle er kommentieren, was die Nachgeborenen sagen, als habe stets er das letzte Wort. Und wenn es der SPD mal wieder an Geschlossenheit, an Zuspruch und charismatischen Führern mangelt, dann kann man sich darauf verlassen, dass der Kommentator sich einen Seitenhieb mit Blick auf Willy Brandt nicht verkneifen kann. Was wohl er dazu gesagt hätte?
Hat diese mediale Retromanie nicht etwas Entmutigendes? Manch einer im Willy-Brandt-Haus ist weder vom historischen Schattenwurf noch von dem melancholischen Faltenwurf des großen Vorsitzenden begeistert. Nachdem die SPD bei der Bundestagswahl 2009 ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt abgeliefert hatte, kommentierte Brandts enger Weggefährte Klaus Harpprecht in der Zeitschrift »Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte« unüberhörbar genervt: »Vielleicht lag’s an Willy? Vielleicht strahlt die Statue im Generalquartier der Partei, das seinen Namen trägt, die bedrückende Stimmung aus, die man im Englischen bad vibrations nennt – schwere Gedanken, Zweifel, Melancholie, beinahe Resignation? Wie soll das Führungspersonal der SPD aus diesem verstörenden Anblick den Mut und die Energien schöpfen, die es braucht, um kraftvoll zu regieren, vor allem: um die Stimmen der Bürger zu gewinnen! Natürlich gab’s den zweifelnden und schwermütigen Brandt. Das hat der Künstler sensibel übersetzt. Aber dank seiner Melancholie ist noch keiner Vorsitzender der Partei geworden (und es fast ein Vierteljahrhundert geblieben) – und schon gar nicht Bundeskanzler. Das verlangte Kraft, einen im Kern eisernen Willen, Courage, Entschlossenheit, ein dickes Ego, ein – wenngleich gezähmtes – Machtbewusstsein, das sich so leicht nicht brechen ließ. Im Foyer des Willy-Brandt-Hauses sollte kein strotzender Heros stehen, aber eine Gestalt, die dem Kämpfer W. B. gerecht wird. Ein Bild, das Mut macht.«
Ist der Anblick dieser Brandt-Figur wirklich entmutigend, verstörend? Nutzen die Brandt-Erben ihren Willy nicht auch, um sich selbst zu inszenieren, um eigene Auftritte bedeutsam zu machen, um sich mit Vergangenheitslack gegen den Rostfraß des Tages zu imprägnieren? Und verrät Harpprechts Bemerkung über die Funktion dieser Figur (»Mut und Kraft schöpfen«) nicht auch, welche sakrale Macht ihr zugesprochen wird? Das Willy-Brandt-Haus ist sicher ein säkularer Raum, aber ebenso sehr ist es ein Sakralbau, wo »das Herz der Partei« schlägt, wo »der Geist Willy Brandts« über den Häuptern schwebt. Partei ist auch Familie und Kirche, Partei ist auch Gottesdienst, gemeinsames Gebet und Eingedenken. Brandt schwebt in einer Sphäre, wo sich Mensch und Mythos mischt, noch kein richtiger Gott, aber eine Art Halbgott, vor dem sich die Landtags- und Bundestagsabgeordneten fotografieren lassen, um an der Basis ihre Glaubenstreue und Bibelfestigkeit
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