Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Wagen von Flughafen ab, und wenn sie einmal in Berlin ist, versuchen sie sich auch zu treffen. Aber vor allem schreiben sie sich. Brandt schreibt zahlreiche Liebesbriefe, die im Wahlkampf 1961 in die Öffentlichkeit gelangen und ihm das Leben schwermachen werden. Er weiß, dass es für ihn als öffentlichen Mann unter dem Gesichtspunkt der Diskretion und Karriereplanung keine gute Idee ist, sich auf diese Weise in die Hand seiner Geliebten zu begeben, aber er kann seinen eigenen Vorsätzen nicht treu bleiben. Ihm ist offenbar zu viel an Susanne Sievers gelegen. Er schreibt ihr Ende Juli 1951: »Ich denke viel an Dich, Susann. Im übrigen aber – nimm mir’s nicht übel und versteh es nicht falsch – halte ich nicht viel davon, daß wir uns Briefe schreiben. Du willst mir einfach nicht aus dem Kopf. Ich freue mich auch von Dir zu hören. Aber es ist besser, einfach einen Gedankenstrich zu setzen.«
Im September des Jahres 1951 lässt sich Susanne Sievers bei einem Besuch der Leipziger Messe als Mitarbeiterin der Staatssicherheit anwerben. Es bleibt unklar, ob sie nicht von Anfang an eine Doppelagentin ist, denn ihre Berichte, die sie der Staatssicherheit schickt, sind in auffälliger Weise frisiert, so als ob jemand gezielt Aufmerksamkeitsakzente setzen will. Klar ist, dass Susanne Sievers ihre Stasi-Tätigkeit in Bonn nicht verschwiegen hat, sondern sich dubiosen Nachrichtenhändlern anvertraute, die wiederum eigene Interessen verfolgten. Brandt hat sie von ihrer Stasi-Mitarbeit mit großer Wahrscheinlichkeit nichts mitgeteilt, denn sie wollte die Liebesbeziehung zu ihm, die sie aufrichtig lebte, nicht gefährden. Daher ist sie es auch, die die Beziehung enttäuscht abbricht, als Brandt sich auf einer Karnevalsfeier offenbar einen Fehltritt erlaubt, der sie verletzen muss. Brandt schreibt ihr daraufhin zerknirscht und reuig: »Ich weiß genau, daß ich mich schlecht benommen habe und daß Du das nicht verdient hattest. Ich bitte Dich aufrichtig um Verzeihung. [ … ] Das war wohl so etwas wie ein Schlußstrich. Und ich halte wenig von der Kunst des Kleisterns. Etwas aber sollst Du wissen – ich bin sogar kühn genug zu meinen, daß Du es weißt: nichts wird die gute Erinnerung an Dich und uns bei mir je trüben können (außer vielleicht mein eigenes »schlechtes Gewissen«). Vielleicht hätte ich mich zu dem, was ich jetzt die gute Erinnerung nenne, klarer bekennen, vielleicht hätte ich Dir offener zeigen und sagen sollen, wie froh ich war, Dich getroffen zu haben. Aber das ist wohl an sich nicht meine Art, und außerdem hatte ich vielleicht ein bißchen Angst davor, daß der Trennungsstrich dann eines Tages noch mehr schmerzen würde. Oh, diese verfluchten Fesseln, die man sich selbst anlegt und die einen hindern, ganz sich selbst zu sein!« Trotz Brandts Fauxpas reißt der Kontakt zwischen ihnen nicht ab, denn er sucht die Versöhnung, und auch sie will ihn nicht aufgeben.
Durch ihre vielfältigen partei- und staatsübergreifenden Kontakte wird Susanne Sievers bald eine Frau im Zwielicht. Die DDR-Justiz stuft sie als abtrünnige und »umgedrehte« Agentin ein, deren Auftrag es sei, die DDR auszuspionieren. Sie wird bei einem Besuch in Ostberlin verhaftet und am 15. Dezember 1952 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Man wirft ihr Kontakte zum »Ostbüro der SPD« vor, man glaubt, Brandt selbst habe sie zur Gegenspionage angehalten. Brandt bemüht sich von Anfang an um ihre Freilassung, doch erst im August 1956 kann er dazu beitragen – auch durch die Unterstützung von Konrad Adenauer –, dass sie vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Susanne Sievers sucht den Kontakt zu ihrem »Bären«, sie sucht seine Unterstützung. Brandt verhält sich zögerlich, abwartend, er, der jetzt Präsident des Abgeordnetenhauses ist, fürchtet, eine wieder auflebende Beziehung könne ihm schaden, seiner Stellung, seinem Familienleben. Dennoch wird er »rückfällig«. Die Freundschaft und Liebesbeziehung zerbricht endgültig im Winter 1957/58. Susanne Sievers wird eine gut dotierte Stelle in der Berliner Landesvertretung in Bonn angeboten. Brandt, der mittlerweile Berliner Bürgermeister ist, verhindert ihre Einstellung, weil er darin eine gefährliche Nähe sieht, eine Nähe, die seine politische Karriere ruinieren könnte. Durch dieses Veto hat er sich Susanne Sievers zur Feindin gemacht. Sie sucht nun die Nähe von Brandts politischen Gegnern. Dort findet sie ein Auskommen und revanchiert sich, indem sie ihre
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