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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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ruiniert.« Willy Brandt schlägt die Kinder nie, Rut ist es, die ab und zu eine Ohrfeige gibt oder einen Klaps auf den Po, weil sie nicht weiß, wie sie die Jungen sonst zur Räson bringen soll. Nun ist diese Art der pädagogischen »Gewaltenteilung« in der Schicht, in der die Brandts aufwachsen, kaum untypisch, und auch die Ohrfeige gehört in fast allen Haushalten zum Erziehungsrepertoire dazu. Von der Idee einer »gewaltfreien Erziehung«, die das Bürgerliche Gesetzbuch heutzutage für alle Kinder fordert, war man in den fünfziger Jahren noch weit entfernt. Man kann jedoch sicher sein, dass Martha Litzl auch in der folgenden Affäre zweifellos für Peter Brandt Partei ergriff. Am 7. Juli 1954 schreibt der Chef des Postamtes Schlachtensee an Willy Brandt: »Sehr geehrter Herr Brandt! Wie die zuständige Zustellerin Ihres Hauses meldet, hat Ihr fünfjähriger Sohn ihr wiederholt Schläge mit Stricken beziehungsweise Stöcken versetzt. Die Zustellerin will, wie sie vertrauenswürdig erklärt, Ihre Gattin davon in Kenntnis gesetzt und gebeten haben, dem Kinde diese Unarten zu untersagen. Nach den Angaben der Zustellerin hat sie heute dem Kinde ein paar kleine Schläge verabfolgt. Diese Handlungsweise ist ihr von der Amtsleitung selbstverständlich untersagt worden, da sie keine Berechtigung dazu besitzt. Wir bitten für diese verständliche Reaktion um Entschuldigung. Gleichzeitig möchten wir jedoch bitten, darauf einzuwirken, dass das Kind die ja jedes Mal im Dienst befindliche Zustellerin nicht in dieser Weise behelligt. Hochachtungsvoll.«
    Willy Brandts Reaktion ist nicht überliefert. Aber in der Regel kümmerte sich Rut um solche Angelegenheiten, wie auch aus dem folgenden Brief hervorgeht. Rut ist mit Lars nach Norwegen gereist, ihr Mann, der Termine in Bonn hat, ist mit dem schulpflichtigen Peter in Deutschland geblieben. Brandt schreibt am 19. Mai 1955 aus Berlin: »Liebe Rut, Peter geht es ausgezeichnet. Wir wollen morgen am Himmelfahrtstag einen Ausflug mit Bockwurst-Essen machen, wenn nur das Wetter irgendwie mitspielt. Heute regnet es und ist kalt. Er hat gestern eine Zwei geschrieben und mich gebeten, dich zu grüßen, aber ›leider‹ hatte er keine Zeit – wie er gesagt hat –, dir zu schreiben. Ich habe ihm gestern aus Bonn ein Auto mitgebracht und darüber hat er sich gefreut. Montag war Elternabend. Ich war zu Hause, bin aber nicht hingegangen. Zum einen weil es mir nicht gut ging, zum anderen weil ich keine Lust hatte. Er hatte auch bereits Bescheid gesagt, dass ich arbeiten muss und Du nicht da bist und dass Du das nächste Mal kommen wirst.« Wer auf einen Ausflug in die Weltgeschichte wartet, wer Geschichte schreiben will, dem wird es schwerfallen zu glauben, er könne den historischen Moment auf dem Elternabend antreffen. Dass Brandt hier das schlechte Gewissen kitzelte, darf man annehmen. Er nennt gleich drei Gründe, warum er nicht ging, gehen konnte. Krankheit, Unlust und Arbeit. Die Arbeit verfolgt Brandt auf Schritt und Tritt, denn anders als Angestellte oder Beamte nimmt er die Arbeit mit nach Hause. Geldsorgen peinigen zudem die Familie, so dass der Berufspolitiker Brandt nebenbei noch als Journalist für skandinavische Zeitungen arbeiten muss, um das Gehalt aufzustocken. Der Bundestagsabgeordnete Brandt verdient etwa 2000 Mark im Monat, von denen aber 400 Mark an die Partei und die Fraktion abgeführt werden müssen. Außerdem muss er für die 22 Sitzungswochen in Bonn ein möbliertes Zimmer anmieten, und das Essen und Trinken in den Bonner Restaurants stellt auch einen erheblichen Posten dar. Wie sehr ihn die finanzielle Situation bedrückt, lässt Brandt seine Frau in seinen Briefen oft genug wissen. »Wie komme ich nur zu vernünftigen Nebeneinkünften?« Die ersten Möbel im Marinesteig 9 müssen die Brandts auf Raten kaufen. Ein Sofa, ein modischer Nierentisch, ein Esstisch mit vier Stühlen, Regale und einen Schreibtisch, Gardinen mit schwarzen Schiffchen, nichts davon ist luxuriös, dennoch belasten die Ausgaben die Familienkasse stark.

Auf der »Grünen Woche« in Berlin 1954. Lars Brandt auf dem Arm des Bären, daneben Peter Brandt
[Peter Brandt/privat]
    Einen ganz anderen, weitaus höheren Preis dürfte Brandt als Mensch, Ehemann und Vater auf dem Weg zur Macht gezahlt haben. Der Schriftsteller Dieter Lattmann, der von 1972 bis 1980 für die SPD im Bundestag saß, hat das Phänomen der menschlichen Verarmung mit eindrucksvoller Sensibilität beschrieben. Die

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