Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Angestellten abzusetzen. Man merkt, dass diese Frau ihr nicht so ganz fremd war, ihr Herkommen, ihr Weg. Und sie zeigt rückblickend aufrichtige Dankbarkeit und schreibt eindringlich, was Martha Litzl für sie bedeutete: »Und Litti blieb bei uns in der ganzen Berliner Zeit als eine starke und steuernde Kraft in der Familie. Später baten wir sie zwei-, dreimal im Jahr, nach Bonn zu kommen. Wir konnten nicht richtig von ihr lassen. Sie war eine feste Stütze in meinem Dasein, und meiner Kinder nahm sie sich an, als wären sie ihre eigenen. ›Unsere Kinder‹, sagte sie immer. Sie war ihr Verteidiger und Beschützer, und sie hatte immer Zeit für sie. Sie strich den Seifenschaum mit Zeigefinger und Daumen von ihren Armen, ließ den Abwasch stehen, nahm Peter und Lasse an die Hand und ging mit ihnen zum Badestrand, wenn sie es verlangten. Sie legte die Stopfsachen weg und las ›Micky Maus‹ vor.«
In keinem von Willy Brandts Erinnerungsbüchern taucht Martha Litzl auf. Wäre es so unvorstellbar gewesen, sie im Register zwischen Egon Bahr, John F. Kennedy oder Henry Kissinger zu finden? Läsen sich Politiker-Biographien nicht spannender, wenn sich die großen Anwälte der Menschen, wenn sich die Repräsentanten einmal umblickten nach ihrem Volk, ihm wirklich ins Gesicht schauten und nicht nur Kollektiva und ihre Stimmungen erfassten? Würden die dickleibigen Wälzer nicht gewinnen, wenn sie das Private nicht rigide vom Politischen trennten, sondern es miteinander ins dialektische Spiel brächten?
Ich habe ein paar Sätze aus Brandt-Briefen der fünfziger Jahre ausgeschnitten, die Liste ließe sich verlängern. So schrieb Willy Brandt über die Haushälterin an seine Frau Rut, wenn sie verreist war. »Litzl« taucht regelmäßig in der Korrespondenz auf. Meist wird sie mit einem kurzen Satz bedacht:
»Im Haus wurde ich von Litzl begrüßt.«
»Litzl hatte gesagt, daß ›Herrchen‹ kommt.«
»Litzl hatte alles sauber und schön gemacht und auch in meinem Büro und Peters Zimmer ordentlich aufgeräumt.«
»Gestern hat sie zusammen mit einer anderen Frau – ich weiß nicht, ob es ihre Schwester oder Nichte war – das Haus geschmückt.«
»Sie hat Preiselbeeren bestellt.«
»Ich musste Litzl natürlich Bericht erstatten.«
»Litzl hat ein gutes Essen mit Koteletts, Bohnen, Pilzen und Bohnensalat gemacht.«
»Am Nachmittag waren sie und Blackie zu einem Flüchtlingstreffen.«
»Litzl hat noch ein paar Birnen gekauft. Und ein paar Brombeeren, um Marmelade zu machen.«
»Ansonsten hat sie sich über diverse Probleme häuslicher Art ausgelassen, aber ich höre nicht immer so genau zu.«
»Litzl hat angefangen, Preiselbeeren einzumachen.«
»Litzl geht es gut, genau wie Blackie. Sie war zum Scheren.«
»Litzl soll sie mit Kamillentee oder so weiterbehandeln.«
»Litzl hat die Böden bearbeitet.«
»Die Jungen waren mit Litzl ins Kino.«
»Litzl sollte heute mit Peter zum Arzt gehen.«
»Litzl hatte am ersten Pfingsttag frei.«
»Da war nur Litzl zu Hause.«
»Ich soll die Jungen von ihren Spielkameraden grüßen und natürlich von Litzl.«
»Litzl passt gut auf mich auf.«
»Es ist mir auch mit Litzls Hilfe nicht gelungen, einen anständigen Knoten zu binden.«
Wie die schnaufende Martha Litzl dem brummenden Willy Brandt den Schlips zu binden versuchte, hätte ich wirklich gerne als Zeitzeuge begleitet. Es fällt auf, dass Brandt seine Haushälterin sehr nüchtern beschreibt, obwohl sie doch praktisch zur Familie gehörte und auch einige Jahre bei den Brandts wohnte. Daher überrascht es nicht, dass die Söhne ihre »Litti« anders erlebten. Jeder der Brandt-Söhne gräbt in seinen Erinnerungen auf sehr verschiedene Weise, und oftmals trennen sich hier ihre Wege, aber dass Martha Litzl für sie, für die Familie ungemein wichtig war, darauf können sie sich alle rasch einigen. Lars Brandt hat ihr in seinem Erinnerungsbuch ein einfühlsames Psychogramm gewidmet: »Sie führte nicht nur den Haushalt. Sie bildete einen feststofflichen Gegenpol zu dem Gas elterlicher Präsenz. Das ließ sich allenthalben wahrnehmen, aber nicht greifen, man wusste nicht, wo es anfing und endete, es bedeutete alles oder nichts. Ich war ein Kind, und Martha Litzl war vorhanden. Die Tragik, die darin liegt, dass ihr das eigene Leben weggenommen worden war und sie in unserer Familie knappen Ersatz fand, begriff ich erst später.« Mir kommt es vor, als ob der Autor sein Gefühl für die Frau, in deren Schicksal er sich so trefflich
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