Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Ehemann. Schneidig, Jahrgang 1921, meldet sich bei Kriegsbeginn freiwillig zum Heer, vorher wird schnell das Notabitur ablegt, piff-paff, schon ist er Leutnant, erhält das Eiserne Kreuz. Blitzkarriere nach dem Krieg hingelegt. Ruck-Zuck-Studium. Jüngster Notar in Westberlin. CDU-Wähler, Katholik, verabscheut Parteien, Gestalten wie Bahr, Schütz oder Wehner flößen ihm Widerwillen ein. Eberhard und Marianne haben drei Söhne, Michael (1946), Christian (1948) und Peter (1959). Michael freundet sich mit Lars, Christian vor allem mit Peter an. Indianerspiele, Wilder Westen am Schlachtensee. Die Brandt-Kinder sind freier, ihre Erziehung ist liberaler. Die haben ein Indianerzelt, dürfen im Garten schlafen. Die Bohmbach-Jungs müssen ministrieren und dürfen manches nicht. Wenn jemand Vorbild für Rut Brandts Schwangerschaft war, dann war das nicht Jacqueline Kennedy, sondern Marianne Bohmbach, deren Sohn Peter ebenso nachzügelt wie Matthias bei den Brandts nachzügelt. Rut Brandt wird Patentante von Peter Bohmbach. Rut hat noch den starken Wunsch, ein Mädchen zu bekommen. Weil sich dieser Wunsch jedoch nicht erfüllt, begleitet sie alle Töchter im Freundes- und Verwandtenkreis mit beharrlicher Großzügigkeit und ist schließlich entzückt, als Peter (1983) und Matthias (1999) Väter von Töchtern werden und sie zur Großmutter machen.
Marianne Bohmbach teilt bestimmte Erfahrungen mit Rut. Sie sind beide 1920 geboren, sie haben jetzt beide drei Söhne, sie sind beide mit dominanten und häufig abwesenden Männern verheiratet, wenngleich Brandts Dominanz eine ganz andere ist als die von Eberhard »Bubi« Bohmbach. Während Eberhard Bohmbach ein äußerst traditionelles Familienbild hochhält und bewahren will – die Frau ist die treue Kameradin des Mannes, erzieht die Kinder und hütet das Heim –, ist Brandts Dominanz eher bedingt durch sein Image und seine Ämter, denen Rut sich anzupassen, auf die sie sich einlassen muss, ohne das traditionelle Familienbild nach außen in Frage zu stellen. Gleichwohl war Rut Brandt weitaus emanzipierter als ihre Freundin Marianne, die ihre eigenen Wünsche zurückstellte, die verzichtete und sich fügte, was Rut befremdete, die ihre Freiräume besaß und sich stets genommen hatte. In dieser Hinsicht war Brandt ein modern denkender Mann, der Beziehungen mit starken Frauen wie Gertrud Meyer und Carlota Thorkildssen gelebt hatte und keineswegs die füg-folgsame Frau forderte.
So lebten die Familien Tür an Tür und verflochten ihren Alltag immer stärker ineinander. Man feierte Weihnachten zusammen, die Männer tranken, rauchten, rissen Witze, die Frauen hatten das Ihre zu besprechen. Willy Brandt war tolerant, auch und gerade auf diesen nachbarschaftlichen Pfaden; man hätte annehmen können, der Katholik und stramme Soldat, der CDU-Wähler und Parteienverächter Bohmbach sei ihm zu fremd, zu fern, ja vielleicht zu feindlich gesinnt, doch wenn Brandt jemanden mochte, konnte er über Trennendes hinweg das Verbindende finden. Peter Brandt erzählte mir einmal, wie angetan sein Vater von einem Referenten der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung gewesen war, obwohl der im Spanischen Bürgerkrieg Mitglied der Legion Condor gewesen war, also jener im Geheimen operierenden Kampfeinheit Hitlers, die General Franco unterstützte und die ersten Kriegsverbrechen der Deutschen Wehrmacht beging. Brandt konnte sich über ideologische Barrieren hinwegsetzen, wenn ihm der Kerl bloß gefiel. Die Männer arrangierten sich und spazierten bei festlichen Zusammenkünften in alkoholumspülten Gefilden, während die Frauen auch im Alltag fast alles miteinander teilten. Sie gingen zum selben Frauenarzt, beide waren Kundinnen bei Friseurmeister Kurt Boldt, und gemeinsam pilgerten sie zum Kosmetikstudio Henriette Halgard am Kurfürstendamm und »rochen wie die Puderdosen«, wenn sie nach Hause kamen. Auf dem Höhepunkt ihrer Freundschaft erwägten die Frauen, ob man zwischen den Häusern nicht einen Durchbruch machen könnte, da man ja ohnehin ständig zusammen war.
Sie lebten Tür an Tür: Marianne Bohmbach und Rut Brandt.
[Michael und Christian Bohmbach/privat]
Michael und Christian Bohmbach sitzen mir gegenüber. Die Brüder sind andere Berufswege gegangen als die Brandts. Christian betreibt eine Reihe von florierenden Bäckereien, und auch Michael kann als Inhaber einer Werkstatt für Zahntechnik kaum klagen. Sie erinnern sich an einen Familienurlaub mit den Brandts in Lungau im Salzburger Land.
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