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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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Pflicht. Kaum ist er da, ist er auch schon wieder kaum noch da. Sein Dasein ist zugleich ein Fortsein, sein Dasein ein einziges Unterwegssein, der Mann sieht aus wie ein in Eile gepackter Koffer. Kein Vater dieser Generation war Kreißsaal-Gefährte. Der Mann war, sofern er es einrichten konnte, in der Nähe, aber Zeuge und Begleiter war er nicht. Als Rut Brandt am 7. Oktober 1961 Matthias Frederik Brandt zur Welt bringt, ist der Vater nicht einmal telefonisch zu erreichen. Schon Peter (Steißgeburt) und Lars (Kaiserschnitt) waren anstrengende Geburten – musste Rut Brandt nicht fürchten, auch ihr drittes Kind würde ihr bei der Niederkunft alles abverlangen? Daher war sie tief enttäuscht, als ihr Mann, kaum war die Wahlschlacht geschlagen, nach Amerika aufbrach, um aus der für ihn bedrückenden innenpolitischen Situation zu fliehen. Floh er auch vor der Familie? Bei der Geburt gibt es Komplikationen, man fürchtet um das Leben des Säuglings. Da kein mündiger Angehöriger zu erreichen ist, gibt schließlich eine von Brandts Sekretärinnen die Einwilligung zum Kaiserschnitt. »Meine Geburt«, berichtet Matthias Brandt, »war eine lebensbedrohliche Angelegenheit für Mutter und Kind. Meine Mutter hat sehr eindrücklich in ihren Erinnerungen geschildert, was für eine schwierige Zeit das für sie war, sehr viel mehr hat sie mir darüber auch nicht erzählt. Aber da ich wohl alles andere als geplant war, hat sie mir immer vermittelt, dass meine Geburt für sie eine Lebenswende dargestellt hat. Das hat uns zeit unseres Lebens verbunden. Sie hat mir das Gefühl von Bedingungslosigkeit gegeben, und – darüber habe ich viel nachgedacht – das ist das Schönste, was einem als Sohn widerfahren kann.« Dass die Geburt ihres dritten Sohnes Matthias eine Art Wende war, kann man lebhaft nachvollziehen, wenn man die betreffenden Passagen in »Freundesland« liest. Da schreibt sie: »Jetzt waren wir eine große Familie mit drei Kindern, zwei Hunden, einer Katze, Vögeln, Fischen und mehreren Schildkröten. Ich war wieder glücklich. Der Wahlkampf war vorbei, und wir würden in Berlin wohnen bleiben. Gott sei Dank!« Noch dreißig Jahre später schickt die Autorin im Rückblick auf diese Zeit einen großen Seufzer zum Himmel. Sie besaß ein bemerkenswertes Talent zur Fröhlichkeit, einen eisernen Willen, nicht unglücklich sein zu wollen. Sie konnte verdrängen, ablegen, nach vorne schauen. Jetzt sind wir eine große Familie!
    Im Gespräch mit dem Journalisten Wolfgang Korruhn hat sich Rut Brandt 1994 über diese Phase nach dem Tod Willy Brandts freimütig geäußert, freimütiger als in ihren Erinnerungen: »Ich war sein Besitz – für eine Zeit. Was mich sehr tief enttäuscht hat, war, dass er in die USA fuhr, als ich Matthias zur Welt brachte. Da sollte er einen Ehrendoktor kriegen oder so etwas. Es war eine schwere Geburt, und ich wusste nicht, ob ich es schaffe. ›Ach, das wird schon klappen‹, hat er gesagt und ist einfach abgereist.«
    Ich wende ein, dass Matthias 1961 im Jahr der Mauer geboren wurde und der Regierende Bürgermeister von Berlin damals im Blickpunkt der Weltpolitik stand.
    »Diese Reise hätte er verschieben müssen. Irgendwie. Ich weiß nicht, wie.«
    »Haben Sie damals daran gedacht, sich von ihm scheiden zu lassen?«
    »Ja«, antwortet sie sofort, »schon Mitte der fünfziger Jahre. Aber den Kindern zuliebe habe ich’s dann doch nicht getan.«
    »Das haben Sie ihm gesagt?«
    »Nein! Das hab ich für mich behalten. Aber ich hab’ das aufgeschrieben. Wenn mich irgendetwas sehr verletzt hat, hab’ ich’s auf Zettel geschrieben.«

Auf Vaters Fuß: Matthias Brandt und Willy Brandt, Berlin 1963
[Peter Brandt/Lilo Frank]
    Rut Brandt findet Halt in ihrer »Großfamilie«, sie kann mit Tieren sprechen, sie hält sich an Augenblicken fest, und sie hat eine enge Gefährtin in jenen Jahren, mit der sie viel teilt, auch Leid und Kummer. Marianne Bohmbach ist ihre beste Freundin im Marinesteig. Ja, Rut Brandt versteht sich auch zum Beispiel gut mit Heidi Schütz, der Frau von Klaus Schütz, doch Marianne Bohmbach gehört nicht zur politischen Sphäre, und mit ihr kann man größere Distanz zum politischen Betrieb halten, der Rut Brandt zunehmend abstößt. Die Brandts und die Bohmbachs wohnen im Marinesteig Tür an Tür, Brandts wohnen im Haus mit der Nummer 14, Bohmbachs rechts daneben Hausnummer 12. Man kann gar nicht aneinander vorbei. Eberhard und Marianne. Er geht voran, ein dominanter

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