Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Herr Kleyer
schon gesehen und rief: »Zu Morgen
machst du eine Strafarbeit!«
»Essen, essen meine Wonne.«
Dabei konnte ich gar nichts dafür, denn
dieses gewisse Gefühl raubte mir den Verstand.
Aber leider herrscht an manchen Stellen immer noch
das Faustrecht.
Katz und Maus
Im Sommer 1966 sagen Peter und Lars Brandt der Schule und der Bundesrepublik sieben satte Wochen lang Adieu! Dieser Sommer läuft ihnen heute noch nach, wie so viele Geschichten, in denen ihr Vater eine Rolle spielt, doch diese Geschichte ist in besonderer Weise unvergänglich, obschon Willy Brandt hier zunächst nur Randfigur ist. Er soll eine Unterschrift leisten, als Erziehungsberechtigter, als Vater. Im März 1966 ist Peter Brandt 17, Lars ist 14, und Matthias zählt vier Jahre und ist somit zu klein, um in dieser Geschichte, die übrigens nicht jugendfrei ist, eine Rolle zu spielen. Zunächst jedoch sind die Eltern Rut und Willy Brandt gefragt, denn die minderjährigen Gymnasiasten Peter und Lars sollen die Hauptrolle in einem Spielfilm übernehmen. Nach dem sagenhaften Erfolg seines Romans »Die Blechtrommel« (1959) veröffentlichte Günter Grass die schmale Novelle »Katz und Maus«, in der der Protagonist Mahlke, ein Gymnasiast mit übergroßem Adamsapfel, fanatisch danach strebt, ein Ritterkreuz zu erwerben, erst durch Diebstahl, dann als Soldat im Zweiten Weltkrieg.
Der Berliner Produzent und Regisseur Klaus-Jürgen Pohland hatte bereits 1963 zusammen mit Grass mit den Vorbereitungen zur Verfilmung des Buchs begonnen, doch das Projekt stockte. Zunächst starb der vorgesehene Regisseur Walter Henn, dann konnte, trotz gewaltiger Anstrengungen, kein geeigneter Hauptdarsteller gefunden werden, da man das Ausschreibungsprofil offenbar sehr ernst nahm. »Er soll«, beschrieb der »Spiegel« im Februar 1963 den Gesuchten, »einen ausgeprägten Adamsapfel besitzen, von Grass als ›bremsende Gurgel‹ beschrieben. Sein Gesicht soll länglich sein, mit großer fleischiger Nase, aufgestülpter Oberlippe und hauerartigen, schrägstehenden Schneidezähnen. Weitere Kennzeichen: ausladender Hinterkopf, abstehende Ohren, dünnes blondes Haar, helle Augen, entzündete Lider, wenige Wimpern. Er soll im Verlauf der Handlung von 14 auf 21 Jahre altern und sowohl den Pennäler als auch den Ritterkreuzträger glaubhaft machen können.«
Suchte man einen Menschen? Bei dieser physiognomischen Stellenausschreibung nimmt es kaum Wunder, dass die Suche erfolglos blieb, obwohl man Schauspielschulen anschrieb, Agenturen und Fernsehsender kontaktierte und eine öffentliche Suchaktion startete. Weder Peter noch Lars Brandt ähneln diesem Wunschprofil in auffallender Weise, auch ihre Adamsäpfel sind eher unscheinbar, aber ein Qualifikationsmoment bringen sie dann doch mit: Sie ähnelten sich damals äußerlich (mehr als heute) und können, sofern man die Rolle teilt, zumindest den Reife- und Alterungsprozess glaubhaft verkörpern. Wie kam es jedoch zu dem Besetzungscoup, dass die Söhne des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, des Parteivorsitzenden der SPD, die Rolle des Ritterkreuzträgers Joachim Mahlke übernahmen? Günter Grass kannte Willy Brandt seit 1961 persönlich, seitdem er sich über Adenauers Diffamierungen des SPD-Kanzlerkandidaten empört hatte. Der Dichter Grass entdeckte den couragierten Bürger in sich und machte 1965 mit großem Einsatz Wahlkampf für Brandts zweiten Anlauf (»Ich rat euch, Es-Pe-De zu wählen«). Stimm- und sprachgewaltig hatte Grass die Provinzen durchpflügt, manchen Wähler verschreckt, manchen angezogen, auf jeden Fall hatte er mit Herzblut gekämpft. Dennoch war es wohl nicht Grass, der Peter und Lars ins Spiel brachte, sondern vielmehr Pohland, dessen Vater Hans Pohland aktives SPD-Mitglied und seit frühen Nachkriegsjahren ein alter Bekannter von Willy Brandt war. Der Regisseur Pohland hatte die Brandt-Söhne in den Medien wahrgenommen, gestaunt über ihre Souveränität, ihre »kesse Lippe«, ihr selbstsicheres Auftreten. Es wurden Probeaufnahmen gemacht, die Eltern und auch die Schüler baten sich Bedenkzeit aus, Pohland, der von den Probeaufnahmen sehr angetan war, sagte spontan: »Lass es uns machen!«
Die Eltern taten das, was Eltern tun: sie sorgten sich. Würden Peter und Lars überhaupt der Aufgabe gewachsen sein? Litten nicht die schulischen Leistungen darunter? Würde es nicht einen riesigen Medienrummel geben? Vielleicht sogar einen Skandal, der dem prominenten Vater angehängt werden würde?
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