Die Familie Willy Brandt (German Edition)
diese alten Arbeiter, diese treuen Trotzkisten oder Linkssozialisten spielten damals für uns und unser Denken eine große Rolle.«
Maria Jänicke und Peter Brandt, 1968
[Maria Jänicke/privat]
Ein erfahrungsfaltiger Zeitzeuge wie Hippe war für die Sozialisation und Selbstsuche von Peter Brandt wichtiger als ein Popheld wie Mick Jagger, dem man tanzend, fühlend, habituell, aber keineswegs lesend oder gesellschaftspolitisch diskutierend folgen konnte. Da unterschied sich Peter auch deutlich von Lars, der an diesem Punkt ohne Zweifel Mick Jagger den Vorrang eingeräumt hätte. Ab und an schaute auch Lars Brandt bei den »Falken« vorbei, erinnert sich Maria Jänicke, ja, er habe sogar einmal ein Referat gehalten, eher »lustlos«, aber letztlich blieb er bei den organisierten Bewusstseinsbildungsprozessen der »Falken« nur Zaungast. Jörg Schumacher, Mitschüler und Freund von Peter, stimmt zu, Lars sei damals »viel wuseliger und schräger« als Peter gewesen, und stellt mit ironisch gefärbter Stimme fest, »er ließ sich nicht für das ernsthafte Ziel der Weltrevolution funktionalisieren«. Nur als Gastspieler trat Lars auch bei der Schülerzeitung der Schadow-Oberschule auf, die zunächst nach dem Wahrzeichen der Schule »Roter Turm« hieß und dann in »Neuer Roter Turm« umbenannt wurde, nachdem eine Nummer wegen der drastischen Beschreibung einer Folterszene in General Francos Gefängnissen vom Schulleiter Erhart Zühlke verboten worden war, was die aufbegehrenden Schüler aber nicht hinderte, die Nummer trotzdem zu verkaufen. Lars agierte als Texter für einen rebellischen Comicstrip, der auf parodistische Weise von dem Befreiungshelden Obro erzählt: »Obro, der Titan aus dem Geschlecht der Herkuliden, hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, geknechtete Völker von ihrem Joch zu befreien. Sein Ziel war die gemeinsame Bestellung des Bodens (Obroismus) und die Vereinigung aller obroisierten Völker.« Peter blieben unernste Sprachspiele, die die Ismen der eigenen Bewegung auf die Schippe nahmen, fremd, sein Zorn war heilig, seine Sprache kämpferisch, seine Empörung laut (auf dem Papier und der Straße) und seine politischen Positionen radikal. War die Sprache des Vaters nicht verlogen, durch Kompromisse, durch Taktik, machtpolitisches Kalkül und Strategie zur Unwahrhaftigkeit, zur Lüge entstellt? Im »Neuen Roten Turm« wurde die Große Koalition, in die Willy Brandt Ende 1966 als Außenminister und Vizekanzler eintrat, als »Kompromissgeburt« bezeichnet und durch eine Bildmontage aus Politikerköpfen, zu denen auch Willy Brandt gehörte, als monströses Insekt dargestellt. Gegen diesen realpolitischen Kompromissler, diesen Machtvater, diesen breiig undeutlichen Sozialdemokraten rannte Peter an.
Obro, der Retter und Befreier aller unterdrückten Völker. Lars Brandt textet für die Schülerzeitung »Neuer Roter Turm« und schickt Obro auf abenteuerliche Reisen.
[Lars Brandt/Gerd Ruppik]
Das politische Engagement des Sohnes wurde dankbar von der Boulevard-Presse verfolgt und jede Gelegenheit ergriffen, um ihn gegen den prominenten Vater in Stellung zu bringen. Es wurde spöttisch vermerkt, dass Peter mit den »Falken« auf der Maifeier die Rede des Bundeskanzlers Erhard auspfiff und dass er in einer Broschüre der »Falken« den freien Verkauf der Anti-Babypille verlangte. Und als die SPD in die Große Koalition eintrat, wurde mit besonders maliziösen Formulierungen darauf hingewiesen, dass Peter zu den Demonstranten gehörte habe, die Parolen wie »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!« riefen.
Mit bissigem Spott griff ein Magazin wie der »Spiegel« solche Meldungen auf. Hier wurde nicht so grob und derb wie in der Berliner Boulevardpresse »geprügelt«, hier wurde – aus der Perspektive altvorderer Autorität – lächelnd gestichelt, wissend gefeixt. So meldet der »Spiegel« in seiner Ausgabe vom 18. März 1968: »Peter Brandt, 19, Abiturient und Vizekanzler-Sohn, führte ein neues Idol für West-Berlins Jung-Revolutionäre ein: Einem Demonstrationszug vor die polnische Militär-Mission trug er vergangenen Dienstag ein Porträt Trotzkis voran. Der Minister-Sohn, Mitglied der ›Revolutionären Jugendgruppe Neuer Roter Turm‹: ›Ich glaube, Trotzki hat heute sehr große Bedeutung für die revolutionäre Jugendbewegung wegen seiner Idee der permanenten Revolution.‹ Brandt junior hielt standhaft zu seinem Ideal: Während der eineinhalb Stunden dauernden Demonstration ließ er das
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