Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Porträt nicht los, wogegen sich seine Mit-Träger ständig abwechselten.« Man reduzierte das Engagement, den Idealismus des Jungen auf eine rein äußerliche Geste, auf ein anderthalbstündiges Plakate-Halten, auf einen billig zu habenden Heroismus. Doch in diesem Die-Stange-Halten, in dieser »Ausdauerleistung« wurde Peter Brandts besonderes Dilemma deutlich: Mehr als andere hatte er zu beweisen, dass es ihm ernst war mit seinen politischen Positionen. War er nur ein politischer Wiedergänger seines Vaters im Westentaschenformat? Wie konnte er im Hinblick auf den Erfahrungsvorsprung des Vaters diesen einholen oder gar überbieten? Und wem galt es, die Treue zu halten? Den »Genossen« der Bewegung? Den politisierten Mitschülern und Studenten, die gerade im Begriff waren, die außerparlamentarische Bewegung auf die Beine zu stellen? Wie vertrug sich das mit der innerfamiliären Loyalität zum Vater? Einerseits genoss Peter ungewöhnlich große Freiheiten, denn er war allein in Berlin geblieben, lebte ohne Bevormundung in der Familie seines Freundes Wolf-Rüdiger Knoche, war sehr eigenständig und dem direkten Zugriff der Eltern, die ohnehin liberal waren, entzogen. Andererseits wurde er von den Medien aller politischen Richtungen aufmerksam beobachtet, und jede seiner öffentlich werdenden Aussagen wurde auf familiäres und politisches Konfliktpotential abgeklopft. Seit Mitte der sechziger Jahre kam es häufiger zu Kontroversen im Hause Brandt, weil Peter direkt oder indirekt gegen die Politik des Vaters opponierte. Dabei lieferte vor allem der Vietnam-Krieg den größten Konflikt- und Zündstoff im Hause Brandt. Während sich Willy Brandt jeder öffentlichen Kritik an der Kriegsführung der »amerikanischen Freunde« enthielt, empörte sich Peter heftig und kritisierte die Zurückhaltung des Vaters als Bürgermeister und Außenminister in dieser Frage mit starken Worten. Heftigen Streit gab es anlässlich einer der zahlreichen Vietnam-Demonstrationen, an denen sich auch der siebzehnjährige Peter beteiligte. Der Regierende Bürgermeister sah sich blamiert, ausgerechnet sein Sohn beteiligt sich an Demonstrationen gegen die alliierte Schutzmacht, gegen die Amerikaner, die Berlin während der Berlin-Blockade mit ihren »Rosinenbombern« am Leben erhielten, die während des Chruschtschow-Ultimatums 1958 den freien Zugang zu Westberlin verteidigt hatten und deren Präsident 1963 vor dem Schöneberger Rathaus bekannt hatte: »Ich bin ein Berliner!« Damals, es war kaum drei Jahre her, hatte Peter mit den »Falken« auf dem Rudolph-Wilde-Platz gestanden und höflich applaudiert. Jetzt skandierte er: »Amis, raus aus Vietnam!« Willy Brandt brauste zu Hause selten auf, brüllte als Vater fast nie, entzog sich familiären Diskussionen eher, als dass er sie suchte, ließ den Sohn reden, ihn fordern, ohne ihn mundtot machen zu wollen, doch dieses Mal hielt er sich nicht zurück. Rut Brandt, die sich zwischen Sohn und Vater als Vermittlerin gefordert sah, erinnert sich in ihrer Autobiographie an diesen heftigen Ausbruch gerade deshalb, weil er selten war: »Entweder mußt du mit deinen Aktivitäten aufhören, oder ich muß als Bürgermeister zurücktreten!« Woraufhin Rut ihrem Sohn zu Hilfe eilt und mahnt: »Willy, hast du deine eigene Jugend vergessen?«
Willy Brandt und Rudi Dutschke sind sich nie begegnet, aber im Kopf des Sohnes Peter sind sie oft aneinandergeraten. Ob er einmal den Versuch unternommen habe, die beiden zusammenzubringen, frage ich Peter Brandt. Nein, sagt er, dieser Gedanke sei ihm fremd. Und auch ein »Wunschbruder« sei Dutschke damals nicht gewesen. Und ein »Vorbild?« Auch das treffe es nicht ganz, antwortet Peter, denn er habe Dutschke nicht kritiklos bewundert, sondern einige seiner Positionen seien ihm bereits als Schüler zu »spielerisch« und zu »impressionistisch« vorgekommen. Dass etwa die »Herausgefallenen der industriellen Leistungsgesellschaft« das »revolutionäre Subjekt« hätten bilden können, kam ihm ebenso »unernst« vor wie die Deutung der chinesischen Kulturrevolution, die Dutschke als »antiautoritäre Revolte« betrachtete – eine »abwegige« Sichtweise, findet Peter Brandt heute. Doch trotz dieser theoretischen Distanzierung, die im Rückblick vermutlich genauer auf den Punkt gebracht wird, als sie 1966/67 bereits bewusst artikuliert worden sein mag, übte der charismatische Studentenführer auf Peter eine große Anziehungskraft aus. Rudi Dutschke hat sicher zur
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