Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Bewusstseinsbildung des jungen Schülers und Studenten beigetragen, er hat ihn aber wohl auch gerade durch seine intellektuelle, seine moralische und psychophysische Präsenz in eigenen Haltungen und Verhaltensweisen bestärkt. Peter Brandt erlebt Dutschke bei zahlreichen Demonstrationen als agilen, fanatischen Willensmenschen, der mit sportlich-trainiertem Körper Polizeiketten durchbricht, er sieht und hört ihn bei Mitgliederversammlungen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), wo er als belesener Diskutant brilliert, er gewinnt ihn als Interviewpartner für die Schülerzeitung »Roter Turm«, er begegnet ihm als Dozenten, der seinen »Falken« und ihm in einem »marxistischen Grundkurs« an der Volkshochschule Charlottenburg 1965/66 die marxistischen Klassiker nahebringt, und er lernt den privaten Dutschke kennen, der keine »Starallüren« zeigt.
Der Karikaturist Oskar (Hans Bierbrauer) wandelt für die »Berliner Morgenpost« eine Bildgeschichte von E. O. Plauen (Erich Ohser) ab: Peter Brandt als Rabauke, Willy Brandt als zürnender und dann sich sorgender Vater, Berlin 1966.
[Berliner Morgenpost/E. O. Plauen]
Am 27. November 1967 demonstriert Peter Brandt vor dem Kriminalgericht Moabit, weil der APO-Aktivist Fritz Teufel (»Wenn’s der Wahrheitsfindung dient«) wegen schweren Landfriedensbruchs vor Gericht steht. Er soll beim Besuch des persischen Schahs einen Stein gegen Reza Pahlavi geschleudert haben. Peter weicht nicht, als Wasserwerfer ihn treffen, und er ignoriert ebenso die Appelle der Polizei, die die Demonstranten unter Dutschkes Führung auffordert, sich zu zerstreuen. Peter hat sich eingereiht, untergehakt, er marschiert unmittelbar hinter Dutschke, der in vorderster Linie auf das Gerichtsgebäude zustürmt. Obwohl Peter Brandt bei dieser Aktion nicht festgenommen wird, wird er später wegen des »Demonstrationsdeliktes« angeklagt. Als der aufgehetzte Hilfsarbeiter Josef Bachmann am 11. April 1968 Rudi Dutschke mit drei Schüssen in Berlin niederstreckt, befindet sich Peter mit seiner Freundin Maria Jänicke in Paris. »Wissen Sie noch«, frage ich Peter Brandt, »wie Sie unmittelbar reagiert haben, was Sie damals fühlten, als Sie die Nachricht erhielten?« – »Ich war schockiert, ja, aber doch auch gefasst. Die Nachricht vom Tod Benno Ohnesorg ein Jahr zuvor hatte mich mehr mitgenommen. Als mich damals jemand anrief und mir mitteilte, Ohnesorg sei erschossen worden, bin ich spontan in Tränen ausgebrochen. Meine Reaktion war mir selbst fremd, das kannte ich nicht von mir. Es war nur ein Zufall, dass ich an diesem Abend, am 2. Juni 1967, nicht vor der Deutschen Oper demonstrierte, ich musste für eine Mathearbeit lernen. Dass jemand so umkam, einfach erschossen wurde, war etwas Ungeheuerliches für mich, das barg eine neue Qualität. Und obwohl ich Dutschke ja kannte, war ich nicht so schockiert wie beim Tode Ohnesorgs, den ich nicht kannte. Wir sind dann mit dem Nachtzug sofort nach Berlin zurückgefahren und haben mit den anderen Demonstranten am 12. April versucht, die Auslieferung der Springer-Zeitungen zu verhindern. Gelungen ist das bekanntlich nicht.«
Am 13. April nehmen Peter und Maria an weiteren Demonstrationen gegen den Springer-Konzern teil, dessen Zeitungen Dutschke zum dämonischen Jugendverführer und gefährlichen Staatsfeind stilisiert haben. Die Studenten blockieren Kreuzungen und Straßen und versuchen, die aufgebrachten Autofahrer von Springers unheilvollem Einfluss zu überzeugen. Peter und Maria werden mit etlichen anderen festgenommen, Peter bleibt 30 Stunden in Gewahrsam. Man stellt seine Personalien fest, nimmt Fingerabdrücke, macht Polizeifotos, verhört ihn, sperrt ihn in eine Zelle. Ein Reporter des englischen Boulevardblattes »Sun« interviewt ihn am nächsten Tag auf dem Weg in die Universität. Angeblich, so liest es Willy Brandt später in der Zeitung, fordere der Sohn, dass man die »gesamte gegenwärtige politische Führerschaft wegschaffen« müsse, »einschließlich meines Vaters«. Die Nachricht von der Verhaftung seines Sohnes erreicht Willy Brandt in Senegal, wo er einen Staatsbesuch absolviert. Der siebzehnjährige Lars befindet sich in seiner Begleitung. Auch die SPD-Spitze ist über die Nachricht von Peters Verhaftung wenig erbaut, man befürchtet Stimmenverluste bei der anstehenden Landtagswahl in Baden-Württemberg. Horst Ehmke lässt bekümmert im »Spiegel« verlauten: »Diese Krawalle sind für die Partei schon schlimm
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